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Das Ziel ist der Weg

Das Ziel ist der Weg

Titel: Das Ziel ist der Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Hagenmeyer
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wiederzusehen: Er strahlt eine herzliche Wärme aus. Irgendwo soll es Kutteln geben. Wohl dem, der einen Mönch mit kulinarischen Geheimtipps hat. Folget dem Mann mit dem Büchlein!

    »Oculi mei«. Durch die Glasscheiben der Kathedrale in Léon fällt Licht. Farbreflexe in meinen Augen. Ich weiß nun, warum in den Büchern über den Jakobsweg steht, dass, wer die Meseta zu Fuß durchquert hat, sich gewandelt hat, sich nähergekommen ist. Diese Kathedrale ist eine Erlösung. »Oculi mei«.

Hinlaufen
    Von Léon nach Santiago

    »Am Ziel deiner Wünsche wirst du jedenfalls eines vermissen: dein Wandern zum Ziel.«
    Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach

    Jeder Pilgerweg hat ein Ziel und jeder Pilgerweg geht einmal zu Ende. Je näher man als Pilger dem Endpunkt seiner Pilgerschaft kommt, desto mehr ergreift einen die »Melancholie der Erfüllung«, wie sie der Philosoph Ernst Bloch bezeichnet hat. Für Pilger hat ihr Näherkommen zum Ziel zwei Gesichter:
    Das eine Gesicht sieht vorwärts auf das Ziel, sehnt sich den Abschluss, die Ankunft herbei. Nach Hunderten von Kilometern, nach Hunderttausenden von Schritten, nach den tief greifenden inneren und äußeren Veränderungen auf dem Weg, nach der Erfüllung ihres Werde-Gangs, in der Routine des Pilgeralltags wollen Pilger früher oder später nur noch eines: ankommen. Endlich können sie den Weg beenden, endlich werden die seelischen und körperlichen Mühen des Pilgerns vorbei sein. Sie sehen hinter dem Ziel bereits schemenhaft wieder ihren modernen Alltag aufscheinen. Mit einer Frage aus diesem Alltag sind sie aufgebrochen, und diese Frage hat sich in ihnen gelöst. In ihnen ist der Ruf des Weges zur Ruhe gekommen, denn fern des Alltags haben sie erfahren, was in ihnen an Wandlung notwendig war. Ihnen wird, je mehr sie auf das Ende zugehen, bewusst, was einst auf einem Notizzettel in der Pilgerherberge von Sahagún stand: »Auch wenn du noch so weite Wege gehst, du kehrst in deinen Alltag zurück.« Die Ankunft am Ziel wird den Endpunkt ihrer Wandlung und die Rückkehr in den Alltag markieren.
    Das andere Gesicht jedoch sieht rückwärts, sieht den Weg und trotz aller Routine die Schönheit und Einfachheit der Pilgerschaft. Die Nähe zur Natur, die integrierende Gemeinschaft der Sinnsuchenden, der unmittelbare Kontakt zu sich selbst. Aus den Tiefen der Seele erhebt sich leise zweifelnd die Frage, wie nach dieser langen Auszeit wohl die Rückkehr in den modernen Alltag, in die Leistungs- und Konsumgesellschaft sein wird. Wie und ob es möglich sein wird, sich neu in ihr zu orientieren. Alles andere wollen Pilger, nur nicht ankommen, nur den Weg und damit die neu gewonnene intensive Nähe zu sich selbst nicht beenden müssen. Sie fühlen schmerzlich voraus, dass sie am Zielpunkt den Pilgerweg, ihren Pfad der Sehnsucht, werden verlassen müssen. Antoine de Saint-Exupery schreibt: »Es kommt darauf an, dass du auf etwas zugehst, nicht, dass du ankommst.« Ihr Pilgerweg wird zu Ende sein. Die Ankunft am Ziel wird den Endpunkt ihrer Wandlung und die Rückkehr in den Alltag markieren.
    Hin- und hergerissen zwischen diesen Gefühlen, die ihn sowohl beschleunigen als auch verlangsamen wollen, ist es die Aufgabe von Pilgern, aus ihrem Wesenskern heraus in der ihnen gemäßen Geschwindigkeit weiterzugehen, aufmerksam für das eigene Tempo zu bleiben: Eilen sie auf das Ziel zu, verlieren sie in der Hast ihre Mitte. Bleiben sie stehen oder verzögern sie ihre Ankunft willentlich, verlieren sie diese in der Erstarrung ebenfalls. Bleiben sie jedoch achtsam bei sich und auf dem Weg, gehen sie weiterhin jeden Kilometer im Hier und Jetzt. Ungeachtet, wie viele noch vor ihnen liegen. Gleichzeitig reift in ihnen wie von selbst die Bereitschaft, den Pilgerweg zu beenden und in der »normalen Welt« einen weiteren Weg zu beginnen. Wenn Jakobuspilger ihren letzten Schritt über die Schwelle der Kathedrale in Santiago de Compostela setzen, verlassen sie die Gegenwelt der Pilgerschaft und treten wieder ein in den modernen Alltag.
    Der letzte Schritt ist daher schwer und leicht zugleich. Ohne den allerersten Schritt und alle folgenden hätten Pilger diesen nicht machen können. In ihm sind wahrhaft alle vorherigen Schritte enthalten, alle Erfahrungen und Wandlungen des Weges. Im letzten Schritt ist alles: Ihr Aufbruch — und damit der Wechsel in ihrer Art, sich zu bewegen und sowohl ihre Außenwelt als auch ihre Innenwelt anders wahrzunehmen. Ihre Wandlung — und durch sie die Konfrontation

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