Das zweite Vaterland
Ausflüge immer etwas beunruhigte, trotz des Vertrauens, das sie auf die Geschicklichkeit ihrer Söhne in der Führung des Kajaks hatte.
– Beruhige Dich nur, liebe Betsie, und Sie auch, Jenny, sagte Zermatt. Jack scherzt ja blos… es handelt sich nur um eine Fahrt nach der Haifischinsel, um dort bei dem Aufziehen der Flagge zwei Kanonenschüsse zu lösen. Unsere jungen Leute kehren dann sofort zurück, nachdem sie sich überzeugt haben, daß dort alles in Ordnung ist.
– Schön, antwortete Jenny, und während sich Fritz und Jack nach dem Eilande begeben, werden Ernst, Franz und ich unsere Angelschnüre auslegen, vorausgesetzt, daß Frau Betsie meiner nicht bedarf.
– Nein, mein liebes Töchterchen, antwortete Frau Zermatt; ich werde inzwischen alles für unsere nächste große Wäsche zurechtmachen.«
Alle gingen darauf nach dem Landeinschnitte am Bache hinunter, wohin Jack den Kajak gezogen hatte, in dem Fritz und er nun Platz nahmen. Die anderen wünschten ihnen noch glückliche Fahrt, und bald trieb das leichte Fahrzeug rasch nach der kleinen Bucht an der Mündung zu.
Das Wetter war schön, das Meer ruhig und die herrschende Ebbe für sie günstig. Einer vor dem andern und jeder in der engen, im Bootsdeck ausgesparten Oeffnung sitzend, ruderten die beiden Brüder geschickt mit den Pagaien und entfernten sich schnell von der Wohnstätte in Felsenheim. Da die Strömung etwas nach Osten zu lief, mußte der Kajak sich mehr an der gegenüberliegenden Küste halten und durch den schmalen Sund fahren, der die Rettungsbucht mit dem offenen Meere verband.
Jener Zeit zählte Fritz fünfundzwanzig Jahre. Gewandt, kräftig, in allen Körperübungen erprobt, ein unermüdlicher Fußgänger und unerschrockener Jäger, machte der älteste der Familie dieser alle Ehre. Seine früher etwas barsche Natur hatte sich gemildert. Seine Brüder litten nicht mehr, wie vorher, von seiner an Hitze streifenden Lebhaftigkeit, die ihm von Vater und Mutter sonst manchen Vorwurf eingebracht hatte. Ferner hatte noch ein anderes Gefühl dazu geholfen, seine natürlichen Neigungen zum Besseren zu verändern.
Er konnte sich nämlich das junge Mädchen nicht aus dem Sinn schlagen, das er vom Rauchenden Felsen her ins Elternhaus gebracht hatte, und Jenny Montrose konnte es nicht vergessen, daß sie ihm Heil und Rettung verdankte. Jenny war eine liebreizende Erscheinung mit ihrem blonden, in seidenweichen Locken herabwallenden Haar, ihrer geschmeidigen Gestalt, mit ihren seinen Händen und dem frischen Teint, der ihr Gesicht schmückte. Als sie in die ehrenwerthe und arbeitsame Familie gekommen war, hatte sie dieser mitgebracht, woran es bisher fehlte: die Freude des Hauses, und so wurde sie zum guten Genius des häuslichen Herdes.
Doch wenn Ernst, Jack und Franz sie nur als Schwester betrachteten, lag das bei Fritz etwas anders. Es war ein anderes Gefühl, das sein Herz oft höher schlagen ließ. Auch Jenny empfand wohl etwas mehr als Freundschaft für den muthigen, jungen Mann, der ihr einst zu Hilfe gekommen war. Schon waren fast zwei Jahre seit dem aufregenden Vorfalle beim Rauchenden Felsen verflossen… Fritz hatte nicht in Jennys Nähe leben können, ohne sich von ihr bezaubern zu lassen. Und wie oft mochten wohl sein Vater und seine Mutter davon gesprochen haben, wie sich die Zukunft in dieser Beziehung noch gestalten möge!
Was Jack betrifft, hatte sich auch dessen Charakter ein wenig verändert, und zwar insofern, als seine an sich schon große Vorliebe für alles, was Kraft, Muth und Gewandtheit verlangte, noch weiter zunahm, und in dieser Hinsicht brauchte er seinen Bruder Fritz jetzt nicht mehr zu beneiden. Zur Zeit einundzwanzig Jahre alt, von mittlerer Größe, schlank und kräftig, war er immer der prächtige, lustige und gefällige Bursche, und auch so gut, dienstwillig und opferfreudig, daß er seinen Eltern niemals eine trübe Stunde bereitet hatte. Zuweilen trieb er wohl seinen Scherz mit Fritz, Ernst und Franz, doch diese verziehen ihm das gerne, war er doch der beste Kamerad, den sie sich wünschen konnten.
Gleich einem Pfeile schoß inzwischen der Kajak über das glatte Wasser dahin. Das kleine Segel, das dieser bei günstigem Winde trug, hatte Fritz nicht gesetzt, weil es jetzt vom hohen Meere her wehte. Für die Rückfahrt sollte der Mast aber aufgerichtet werden, und dann bedurfte es der Pagaien nicht mehr, um die Mündung des Schakalbaches zu erreichen.
Nichts erregte bei der dreiviertel Lieue langen
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