David und Goliath
einer langen Eisenbahnlinie, die die Türken von Damaskus durch die Wüste Hedschas hatten bauen lassen.
Doch Lawrence musste nur einen einzigen Blick auf seinen zusammengewürfelten Haufen von Beduinenkriegern werfen, um zu wissen, dass ein Angriff auf Medina von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Aber warum sollte er die Stadt überhaupt einnehmen? Die Türken saßen in Medina fest, »in der Defensive und unbeweglich«. Es waren so viele, und sie benötigten so viel Lebensmittel, Wasser und Benzin, dass sie kaum zu einer größeren Operation in der Wüste in der Lage waren. Statt die Türken da anzugreifen, wo sie am stärksten waren, wollte Lawrence sie also da packen, wo sie Schwächen hatten: entlang der ungeschützten Bahnstrecke, die ihre Nabelschnur nach Damaskus war. Statt sich also auf Medina zu konzentrieren, wollte er den Krieg über ein möglichst großes Gebiet ausdehnen.
Es war eine schwere Aufgabe. Die Türken hatten ein modernes Heer aufgeboten. Die Beduinen unter dem Befehl von Lawrence waren dagegen keine Soldaten. Sie waren Nomaden. Sir Reginald Wingate, einer der britischen Befehlshaber der Region, beschrieb sie als »wüsten Haufen, von denen die meisten noch nie auch nur ein Gewehr in der Hand gehalten haben«. Doch die Männer waren zäh und beweglich. Ein typischer Beduinenkrieger hatte ein Gewehr, hundert Schuss Munition, zwanzig Kilogramm Mehl und einen halben Liter Trinkwasser, und weil sie wussten, wie sie unterwegs Wasser finden konnten, legten sie damit selbst im Sommer pro Tag 175 Kilometer in der Wüste zurück. »Unsere Trümpfe waren Schnelligkeit und Zeit, nicht Schlagkraft«, erinnerte sich Lawrence. »Unsere wichtigste Ressource waren Stammesangehörige, die nichts von formaler Kriegsführung verstanden und deren Stärken Beweglichkeit, Ausdauer, Intelligenz, Landeskenntnis und Mut waren.« Moritz von Sachsen, ein General des 18. Jahrhunderts, tat den bekannten Ausspruch, die Kriegskunst brauche keine Arme, sondern Beine. Lawrence’ Truppen bestanden nur aus Beinen. Am 24. März 1917 sprengten seine Soldaten beispielsweise dieEisenbahnlinie an 60 Stellen und zerschnitten die Telegrafenleitung bei Buair. Am Tag darauf sabotierten sie bei Abu al-Naam eine Lokomotive und sprengten die Linie an 25 Stellen. Am 27. März sprengten sie die Strecke an 15 Stellen und zerschnitten die Telegrafenleitung bei Istabl Antar. Zwei Tage später überfielen sie eine kleine türkische Garnison und brachten einen Zug zum Entgleisen. Am 31. März kehrten sie nach Buair zurück, um dort die Eisenbahnlinie zu sabotieren. Am 3. April sprengten sie die Strecke bei Hedscha an elf Stellen. Am 4. und 5. April überfielen sie in der Nähe von Wadi Daidschi einen Zug und am 6. April führten sie zwei Überfälle durch.
Lawrence’ Meisterstück war jedoch der Angriff auf die Hafenstadt Akaba im heutigen Jordanien. Die Türken erwarteten einen Angriff von den britischen Schiffen, die im westlich gelegenen Golf von Akaba patrouillierten. Stattdessen beschloss Lawrence, die Stadt von Osten, von der Wüste her, anzugreifen, da sie auf dieser Seite ungeschützt war. Dazu führte er seine Männer auf einen verwegenen, 1000 Kilometer langen Ritt von Hedscha nach Norden in die Wüste von Syrien und von dort zurück nach Akaba. Es war Sommer, die Region gehört zu den unwirtlichsten des Nahen Ostens, und Lawrence unternahm unterwegs einen Abstecher nach Damaskus, um die Türken auf eine falsche Fährte zu führen. In Die Sieben Säulen der Weisheit schreibt Lawrence:
» In diesem Jahr wimmelte es im Tal nur so vor Hornvipern, Puffottern, Kobras und schwarzen Schlangen. Wir konnten nach Einbruch der Dunkelheit nur unter Mühen Wasser schöpfen, da sich die Schlangen, die in den Tümpeln schwammen, in dichten Trauben an den Ufern scharten. Zweimal schlängelten sich Puffottern in den aufmerksamen Ring unseres Debattier- und Kaffeekreises. Drei Männer starben an den Folgen von Schlangenbissen, vier überlebten nach großen Schmerzen, Angst und starken Schwellungen. Die Behandlungsmethode der Howeitat bestand darin, das gebissene Körperteil mit Schlangenhaut abzubinden und dem Leidenden aus dem Koran vorzulesen, bis er starb. « 10
Als sie endlich in Akaba ankamen, töteten die wenigen Hundert Männer in einem Angriff rund 1200 Türken, während sie selbst nur zwei Opfer zu beklagen hatten. Die Türken waren einfach davon ausgegangen, dass niemand verrückt genug
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