David und Goliath
einer schweren, aber als unwahrscheinlich wahrgenommenen Bestrafung ein Risiko einzugehen, auch morgen bereit sein werden, angesichts einer schwereren, aber immer noch als unwahrscheinlich angesehenen Bestrafung dasselbe Risiko einzugehen. « 146
Das zweite Argument für die Three Strikes, dass jedes Jahr, das ein Krimineller hinter Gittern verbringt, ein Jahr weniger ist, in dem er Verbrechen begehen kann, ist genauso problematisch. Die Rechnung geht nicht auf. Im Jahr 2011 waren beispielsweise kalifornische Verbrecherzum Zeitpunkt ihrer dritten Verurteilung durchschnittlich 43 Jahre alt. Vor der Verabschiedung von Three Strikes hätte der Mann vermutlich 5 Jahre abgesessen und wäre im Alter von 48 Jahren wieder auf freiem Fuß gewesen. Nach dem neuen Gesetz verbringt er mindestens 25 Jahre im Gefängnis und wird frühestens mit 68 entlassen. Die Frage ist nun: Wie viele Verbrechen begeht ein Krimineller zwischen dem 48. und dem 68. Lebensjahr? Nicht allzu viele. Die folgenden Grafiken zeigen den Zusammenhang zwischen Alter und Verbrechen: 147
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Die Androhung längerer Haftstrafen mag bei jüngeren Männern wirken. Aber wenn jemand auf die dreißig zugeht, dienen die längeren Haftstrafen nur noch dazu, uns vor Leuten zu schützen, die inzwischen ohnehin weniger gefährlich sind. Einmal mehr müssen wir feststellen, dass eine zunächst vielversprechende Strategie ab einem bestimmten Punkt nicht mehr greift.
Damit kommen wir zur entscheidenden Frage: Hat auch die Kurve, die den Zusammenhang zwischen Verbrechen und Bestrafung darstellt, eine »rechte Seite«? Gibt es einen Punkt, ab dem härteres Durchgreifen die Situation verschlechtert? Der Kriminologe Todd Clear behauptet dies jedenfalls, und sein Gedankengang sieht vereinfacht ungefähr so aus:
Haftstrafen wirken sich direkt auf die Verbrechensstatistik aus. Sie bringen einen Menschen hinter Gittern, wo er keinen Schaden mehr anrichten kann. Sie haben jedoch auch indirekte Auswirkungen, denn sie ziehen das gesamte Umfeld dieses Menschen in Mitleidenschaft. Viele der inhaftierten Männer sind beispielsweise Väter (in den Vereinigten Staaten hat sogar schon ein Viertel aller minderjährigen Straftäter Kinder). Für ein Kind hat die Inhaftierung des Vaters verheerende Auswirkungen. Natürlich sind viele Kriminelle miserable Väter, aber viele sind es auch nicht. Mit ihrem Einkommen – sowohl aus den Verbrechen als auch aus regulären Arbeiten – unterstützen sie ihre Familien. Für ein Kind hat die Haftstrafe des Vaters ähnliche Auswirkungen wie sein Tod oder eine Scheidung. Jugendliche mit einem inhaftierten Elternteil werden vier- bis fünfmal so häufig straffällig und leiden mehr als dreimal so häufig an schweren psychischen Störungen.
Sobald der Betroffene seine Zeit abgesessen hat, kommt er in seine alte Umgebung zurück. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass er durch die Zeit im Gefängnis psychischen Schaden genommen hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass er Arbeit findet, ist sicher nicht größer geworden. In seiner Zeit hinter Gittern hat er viele nichtkriminelle Freunde verloren und kriminelle Freunde hinzugewonnen. Und wieder zu Hause, belastet er die Familie, die seine Inhaftierung zerstört hat. Gefängnisstrafen verursachen Kollateralschäden. In den meisten Fällen nutzt dieHaftstrafe, mehr als sie schadet. Es ist also durchaus sinnvoll, Menschen einzusperren, doch Clear betont, wenn man zu viele Menschen zu lange wegsperrt, kommt ein Moment, an dem der Kollateralschaden größer ist als der Nutzen. 148
Zusammen mit seiner Kollegin Dina Rose testete Clear seine Hypothese in Tallahassee im Bundesstaat Florida. 149 Sie untersuchten die Stadt Viertel für Viertel und verglichen die Zahl der Menschen, die in einem Jahr inhaftiert wurden, mit der Zahl der Verbrechen im folgenden Jahr. Daraus ermittelten sie, ab wann die umgekehrte Parabel nach unten knickt. Dabei kamen sie zu dem Schluss: »Wenn mehr als 2 Prozent der Bevölkerung eines Stadtviertels im Gefängnis sitzt, kehren sich die Auswirkungen der Haftstrafen auf die Kriminalitätsrate um.«
Genau darum ging es Jaffe in Brownsville. Der Schaden, den sie mit Truthähnen und Umarmungen kitten wollte, wurde nicht etwa durch einen Mangel an Recht und Ordnung verursacht. Die Ursache war im Gegenteil ein Zuviel an Recht und Ordnung. Weil so viele Väter und Brüder und Cousins im Gefängnis saßen, war das Gesetz der Feind. Brownsville
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