Davids letzter Film
Florian?«
»Der Junge – du hättest die Fotos sehen sollen. Riemschneider hat sie mir gezeigt. Ich hatte ›Audience‹ doch gesehen? Ich … ich versteh es nicht … wusstest du, dass David so was gemacht hat?«
Sie blickte ihm starr ins Gesicht, die Augen glanzlos, beinahe erloschen.
»Was hätte ich denn tun sollen?«, redete Flo auf sie ein. »Ich konnte doch nicht die Augen einfach davor verschließen. Es
ist grausam. Es ist von einer unvorstellbaren Niedertracht.« Er holte Luft. »Aber es passte, verstehst du? Es passte zu dem,
was David mir in Babelsberg erzählt hat. Er fand das wahrscheinlich in Ordnung, den armen Jungen zu quälen. Er hatte sich
das ja so zurechtgelegt. Er glaubte zu wissen, was gut ist und was böse. Das gab ihm das Recht, den Jungen zu töten.« Sein
Blick suchte in ihrem Gesicht Halt. »Wusstest du das, Thea?«
Aber sie antwortete ihm nicht. »Und da hast du ihn ans Messer geliefert«, sagte sie stattdessen.
»Ich musste doch etwas tun! Wie konntest du all die Jahre mit ihm zusammenleben und diese Dinge einfach geschehen lassen?«
Er meinte wahrzunehmen, wie ein Hauch von Schmerz über ihr Gesicht huschte.
»Ich wusste das alles doch nicht«, flüsterte sie.
»Was wusstest du nicht? Was er für Filme macht? Dass er für sie tötet?«
Sie hatte den Blick gesenkt. »Ich hab es dir doch schon mal gesagt. Er hat nicht über alles mit mir gesprochen.«
»Nicht über alles?«
»Dass der Junge sterben musste? Das hätte er mir niemals gesagt.«
»Und Hannes?«
Sie schüttelte den Kopf, den Blick weiter gesenkt. »Ich ahnte, dass die Sachen, von denen er mir nichts erzählte, unschön
sein würden …«
»Unschön?«
»… aber ich wollte nichts davon wissen. Und ich hätte niemals gedacht, dass er so weit gehen würde.« Sie hob den Blick, die Stimme
jetzt rau. »Ich habe es Riemschneider eben auch schon gesagt. Es ist Tegtmeyer, verstehst du, er hat David dazu getrieben –«
»Erzähl mir doch nichts«, unterbrach Florian sie. »Tegtmeyer hat vielleicht das Geld gegeben – aber David ging es nicht um
das Geld. Es ging ihm um seinen eigenen Weg.
Er
hat sich das ausgedacht – er hat Tegtmeyer doch erst davon überzeugt. Was er mit den Clips erreichen wollte? Das war doch
nicht Tegtmeyers Idee. Das war Davids Einfall! Er hat Tegtmeyer für seine Ideen benutzt – nicht umgekehrt!«
Sie schaute ihm in die Augen.
»Und dass er mich absichtlich nach Berlin hat holen lassen«, insistierte Florian. »Davon wusstest du auch nichts?«
»Nein.« Ihre Stimme war tonlos. »Denk, was du willst, Florian. Es ist mir egal.«
Sie wollte sich wieder abwenden, aber Flo hielt sie noch einmal zurück. »Und wozu, verdammt! Wozu er mich hier haben wollte
– das kannst du mir auch nicht sagen?«
Mit einer kurzen, energischen Bewegung schüttelte sieseine Hand ab, mit der er sie am Arm festgehalten hatte. »Ich hab dir alles gesagt, was ich weiß. David war mir keine Rechenschaft
über seine Pläne schuldig.« Und dann zischte sie mit einer solchen Geringschätzung, dass ihm der Atem stockte: »Kann ich jetzt
gehen?«
Verwirrt und beschämt senkte Flo den Blick zu Boden. Er hörte das Klackern ihrer Absätze, während sie sich entfernte. Es schnitt
ihm in den Bauch. Aber es gab nichts mehr, womit er sie noch einmal hätte aufhalten können.
Zwei Stunden später saß er im Flugzeug. Die Maschine sollte noch vor Einbruch der Dunkelheit in Madrid-Barajas landen. Während
sie zu ihrer Startposition rollte, begann es zu regnen.
Flo lehnte sich in seinem Sitz zurück und schnallte sich an. Dann zog er ein zerknittertes Foto aus der Innentasche seines
Leinenjacketts. Es war die Aufnahme, die er aus seinen eingelagerten Kartons mitgenommen hatte.
Sie zeigte ihn zusammen mit David. Sie waren nicht älter als zwanzig. Ein Bild aus Berlin, im Hintergrund waren die typischen
Altbaumietshäuser zu erkennen. Es sah nach Kreuzberg aus, Kreuzberg im Sommer. Sie standen nebeneinander, hatten einer dem
anderen den Arm auf die Schulter gelegt und grinsten in die Kamera.
Glücklich – das war es, dachte Flo. Sie sahen glücklich aus.
In dem Moment brausten die Düsen des Flugzeugs auf, der Flughafen rollte an Flos Fenster vorbei – und die Maschine schoss
in den nächtlichen Himmel über der Stadt.
43
Vier Monate später
Es war ein lauer Frühlingsabend. Florian hatte sich gerade ein Glas Weißwein eingeschenkt und nach dem Abendessen wieder
Weitere Kostenlose Bücher