Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Davids letzter Film

Davids letzter Film

Titel: Davids letzter Film Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
Vom Netzwerk:
noch vor wenigen Minuten ein Film gezeigt worden war.

5
    Es war beinahe halb zwölf, als Florian das Sachs betrat, das Restaurant in der Nähe seines Hotels, in dem er sich mit Walter
     verabredet hatte. Walter hatte es vorgeschlagen, und Flo hatte gleich gedacht, dass es eine gute Wahl war. Das Lokal war trotz
     später Stunde noch voll und strahlte jene Betriebsamkeit aus, die herrscht, wenn Menschen gut essen und zugleich ihre Geschäfte
     besprechen wollen.
    Er sah ihn sofort. Walter saß an einem Tisch in der hinteren Ecke und hatte sich richtig verändert. Er hatte Haare verloren,
     war breiter geworden, und seine fleischigen Gesichtszüge erschienen fast ein wenig teigig. Florian blieb bei den Kleiderständern
     stehen, zog langsam seinen Mantel aus und beobachtete verstohlen Walters Gesicht. Gab es etwas Vertrauteres als ein Gesicht,
     das man kennt, seit es fast noch ein Kindergesicht war? Dann aber fiel ihm auf, dass sich in dieses Gesicht hinein Linien
     geschlichen hatten, die ihn irritierten. Waren es die tiefen Ringe unter den Augen? Die Falten um den Mund? Hatte Walter schon
     früher so ausgesehen, und er hatte es nur nicht bemerkt? Ihm schien, als strahlten die Züge des alten Bekannten eine gewisse
     Unaufrichtigkeit aus, von der er nicht wusste, ob sie schon immer darin gelegen hatte, die ihn aber umso deutlicher ansprang,
     je länger er jetzt hineinsah.
    Er drückte sich noch ein wenig tiefer in die Nische am Eingang. Erst jetzt fiel ihm wieder ein, dass Walter viel besser mit
     David als mit ihm befreundet gewesen war. Er erinnerte sich an das Unbehagen, das ihn nach den gemeinsamen Abenden mit David
     und Walter meist beschlichen hatte. Während die beiden anderen stets einer Meinung gewesen waren, hatte er, Flo, seinen Standpunkt
     immer allein vertreten müssen. Er hatte förmlich gespürt, wie sie es genossen, sich gegenseitig in ihrer Meinung zu bestätigen
     und gleichzeitig abzugrenzen gegen ihn als den Dritten, wie sie sich darin gefielen, gemeinsam zu rätseln, wie Flo nur darauf
     kommen konnte, eine derart abwegige Position zu vertreten. Je länger das so gelaufen war, desto mehr hatte es ihn genervt,
     dieses absehbare Zwei-gegeneinen-Spiel mitzuspielen. Vor allem aber hatte ihn gestört, dass Walter seine Meinung – egal, wie
     sie wirklich ausgesehen hatte – immer ganz gezielt an die von David angepasst hatte, um nur ja auf dessen Seite und keinesfalls
     auf der Seite von Flo zu stehen. Dabei hatte Florian auch zu spüren gemeint, dass David das ganz genau wusste, dass er es
     aber vorzog, darüber hinwegzusehen und lieber den verlogenen Konsens mit Walter zu pflegen. Einmal hatte er ihn sogar darauf
     angesprochen. Doch David hatte es weit von sich gewiesen, Walter in irgendeiner Form zu beeinflussen. Es sei doch vielmehr
     so, dass er und Walter hin und wieder einfach eine Auffassung teilten. Das sei eine schöne Sache, und Flo solle nicht versuchen,
     daran etwas Schlechtes zu finden. Nach dieser Auseinandersetzung hatte Florian es vermieden, das Gespräch mit David noch einmal
     darauf zu bringen. Allzu oft war er danach allerdings nicht mehr mit den beiden weggegangen.
    Flo zuckte zusammen. Walter blickte ihm direkt ins Gesicht. Er hatte es gar nicht bemerkt. Unbeholfen hob er die Hand, trat
     aus seiner Nische hervor und lief auf Walters Tisch zu. Walter grinste und stand auf.
    »Hey, Flo! Long time no see. Oder?«
    Sie umarmten sich, kurz, aber nach all den Jahren doch herzlich, wie Florian fand. Auch wenn es früher ein paar Reibereien
     mit Walter gegeben haben mochte – er traf gerne alte Bekannte, und Walter war einer davon.
    Sie setzten sich, und Walter begann sofort zu reden. Er sprach von seiner Frau und seinen Töchtern, von seiner Arbeit und
     dem Leben in Berlin, von gemeinsamen Studienkollegen und zum Teil von Leuten, die Florian kaum kannte. Erst als die Kellnerin
     an ihren Tisch trat, um Brot hinzustellen und die Bestellungen entgegenzunehmen, brach er ab und schob Flo die Karte herüber.
    »Hast du schon gegessen?« Walter grinste. »Die Küche hier ist ganz ordentlich.«
    Florian warf einen Blick auf die Auswahl, schlug die Karte aber gleich wieder zu. Er fühlte sich noch ein wenig flau und bestellte
     nur ein Bier.
    Walter orderte das Schnitzel, wartete, bis die Kellnerin den Tisch wieder verlassen hatte, und beugte sich vor. »Also was
     ist, Flo?«, sagte er, und sein Blick war plötzlich seltsam hart. »Was treibt dich nach Berlin?«
    Florian

Weitere Kostenlose Bücher