Davids letzter Film
David war schwer beeindruckt gewesen, er wollte
nichts davon wissen, dass Reisejournalismus irgendwie zweitklassig wäre.Im Gegenteil, wenn Flo das anpackte, würde mit Sicherheit etwas Besonderes daraus werden, davon war David überzeugt. Sagte
er zumindest. Ja, es musste 1999 oder 2000 gewesen sein. Sie hatten bis tief in die Nacht darüber geredet, wie sie die Welt
mit ihren Arbeiten erobern würden. Es war ein schöner Abend gewesen, voller Erinnerungen an vergangene Zeiten, aber auch voller
Zuversicht, dass die Erwartungen, die sie in die Zukunft gesetzt hatten, nicht enttäuscht werden würden. Wobei David damals
schon sehr viel überzeugter davon war als Florian. Was würde ihm David heute raten, fragte er sich. Den Artikel zu schreiben?
Was würde David denn selbst machen?
Er wechselte den Hörer in die andere Hand. »Okay, Sie haben recht, Richard, ich mach’s.«
Hölzemann atmete hörbar aus. »Gute Entscheidung, Florian. Das wird eine große Sache. Ich freue mich auf den Artikel. Ich habe
auch schon ein wenig recherchiert. Jetzt, wo Sie an der Sache dran sind, kann ich es Ihnen ja sagen.«
»Ja?«
»Seit ein paar Wochen kursieren Gerüchte«, fuhr Hölzemann fort, »es gebe außer ›Tabu‹ noch einen anderen neuen Film von Mosbach,
der aber in keinem normalen Kino läuft. Angeblich wird er nur in irgendwelchen Kellern, in schwer zugänglichen Locations gezeigt,
die auch noch ständig wechseln, damit die Behörden nicht dahinterkommen. Es heißt, man müsse persönlich eingeladen worden
sein, um reinzukommen. Keine Ahnung, worum es in dem Film geht. Es sei keine so große Produktion wie ›Tabu‹, viel kürzer und
billiger, und der Titel sei ›Au dience ‹, sagt man.«
Flo kniff die Augen zusammen. Plötzlich war er aufgeregt. Er hatte schon lange darauf gebrannt, endlich mal einen von Davids
Filmen zu sehen. Aufgrund seines ständigen Herumreisens hatte er das bisher nie geschafft.
»Können Sie mir so eine Einladung besorgen, Richard? Das wäre sicher ein guter Aufhänger!«
»Ich spreche mit dem Kollegen, der mich auf Mosbach aufmerksam gemacht hat«, hörte er Hölzemann sagen. »Er mailt Ihnen eine
Einladung weiter, dann brauchen Sie sich nur noch persönlich anzumelden. In Ordnung?«
Flo musste grinsen. Auf nach Berlin!
»In Ordnung.«
»Gut. Und ich sag meiner Sekretärin Bescheid. Die besorgt Ihnen Flug und Hotel.«
Flo nickte. »Okay.«
Er wollte das Gespräch beenden, aber da ergriff Hölzemann noch einmal das Wort.
»Und … Florian?«
Flo hielt den Hörer noch mal ans Ohr. »Was denn noch, Richard? Wenn ich heute Nachmittag nach Berlin fliegen soll, hab ich
jetzt dringend ein paar Sachen zu erledigen.« Er hasste es, wenn Hölzemann am Telefon kein Ende fand.
»Es ist nur … Wissen Sie, Sie sollten das in Ihrem Artikel nicht überbewerten. Es ist auch noch nicht offiziell bestätigt, nur der Kollege
von der Polizeiredaktion hat davon gehört, aber das kann sich von einem Tag auf den anderen auch wieder ändern …«
»Was denn, Richard, spucken Sie’s schon aus!«
»Ihr Freund … Mosbach … er ist vermisst gemeldet. Seit über zehn Tagen.«
3
Die beiden Düsentriebwerke der Boeing 737 heulten auf. Florian wurde leicht in seinen Sitz gedrückt. Der Flughafen Madrid-Barajas
raste an seinem Fenster vorbei. Dann zog die Maschine in den strahlend blauen Himmel über der Stadt.
Flo griff nach der Mineralwasserflasche, die er sich noch gekauft hatte, und nahm einen Schluck. Er war froh, dass er den
Flug noch erwischt hatte.
Nach Hölzemanns Anruf hatte er sich beeilen müssen. Er hatte den Artikel, an dem er schon seit Tagen gearbeitet hatte und
für den er eigentlich noch hatte recherchieren wollen, zu Ende geschrieben und abgeschickt. Dann hatte er Marisa angerufen
und ihr erklärt, dass er für ein paar Tage nach Berlin fliegen würde. Wann genau er wieder zurück sei, wisse er nicht. Da
es nicht das erste Mal war, dass er für einen Artikel verreisen musste, hatte sie nicht groß nachgefragt. Schließlich hatte
er seinen Kühlschrank ausgeräumt, die verderblichen Sachen weggeworfen und den Aluminiumkoffer gepackt, den er immer benutzte,
wenn er auf Reportagereise ging. Am Flughafen war er erst kurz vor dem letzten Aufruf eingetroffen.
Florian schraubte die Wasserflasche wieder zu, stecktesie zurück in die Vordersitztasche und schloss die Augen. Vermisst gemeldet. Hieß das, dass er David vielleicht nie
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