Roman
Prolog
»Du solltest das aufschreiben, Lou«, sagte sie. »Alles. Von Anfang an.«
Mein spontaner Gedanke: Ich kann doch nicht über mein Leben schreiben. Das tun nur alte Leute. Oder Narzissten. Oder Fußballerfrauen. Oder die Teilnehmer von Realityshows, die sich vor laufender Kamera die Unterhose runtergezogen haben und fünfzehn Minuten lang berühmt waren. Und außerdem, worüber sollte ich schreiben?
Ich führe ein ziemlich unspektakuläres Leben, trinke zu viel, esse zu viel, lache, bis mir der Bauch wehtut, und war schon so oft verliebt, dass Hallmark mein Hauptsponsor sein könnte. Mein peinlichster Augenblick war, als ich bei einer Schuldisco die ganze Nacht heulend auf dem Klo gesessen habe, nachdem ich mir ansehen musste, wie mein damaliger Freund mit Pammie Murray zu Stand and Deliver getanzt und dabei lustvoll seinen Breitkordhintern geschwungen hatte. Später hat er übrigens behauptet, sie sei »begabt«. Begabt! Nur weil sie sich auf der Nähmaschine ihrer Grandma ein Kleid genäht hatte, war sie noch längst nicht Vivienne Westwood. Außerdem hatte sie eine seltsame Obsession für Diagramme der Genitalgegend. Das weiß ich, weil ich in Bio neben ihr saß.
»Gibt es denn etwas, das du ihr gern erzählen würdest?«, fragte sie.
Ich lächelte. »Ihr« war meine Tochter Cassie, eine Siebenjährige mit einer Persönlichkeit, die an tropische Wetterverhältnisse erinnerte – sonnig, warm, freundlich, mit gelegentlichen Hurrikans und Tornados, bei denen man am besten die Fenster mit Brettern vernagelte und unter dem Bett wartete, bis sie vorbei waren. Tja, was würde ich ihr gern erzählen? Sollte ich ihr raten, sich nicht mit Kleinigkeiten aufzuhalten? Den Augenblick zu genießen? Das Leben bei den Hörnern zu packen und was mir sonst noch so an abgegriffenen Lebensweisheiten einfiel? Ich zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung. Ich weiß ja nicht, wie sie mal sein wird, was wichtig für sie sein könnte.«
Ich wusste, dass ich den Vorschlag absichtlich kleinmachen wollte. Die Vorstellung, etwas aufschreiben zu müssen, widerstrebte mir einfach zutiefst. Über den möglichen Ausgang der Lage wollte ich nicht einmal nachdenken.
Plötzlich veränderte sich ihr Gesichtsausdruck.
»Was hättest du denn gerne gewusst?«, fragte sie.
»Wann?«
»Na, als du jung warst.«
Ich dachte einen Moment nach. Du meine Güte, ich war damals ein Albtraum! Wild. Ungestüm. Immer die Erste auf der Tanzfläche, die Erste, die knutschte, die Erste, die ihr ganzes Taschengeld für Mentholzigaretten ausgab, weil ich mir damit so intellektuell vorkam. Es gab so vieles, was ich damals gern gewusst hätte. So vieles. Zum Beispiel, dass das mit Tom Cruise nie was würde. Dann hätte ich mir Tausende »Lou Cruise«, in verschiedenen Schriften, Farben und Größen in meine Schulhefte gekritzelt, sparen können.
Genau, aber einige Einblicke in wirklich wichtige Dinge wären auch nicht schlecht gewesen. Unterricht im Leben. Das wäre super gewesen. Ein paar vernünftige, durchdachte Lektionen. Und das ist etwas, das ich an Cassie gern weitergeben würde. Ich würde ihr erzählen, wie man Freundschaften erhält und wie es ist, sich zu verlieben und über ein gebrochenes Herz hinwegzukommen. Ich würde ihr erzählen wie es war, als ich das erste Mal wegen eines Jungen geweint hatte, und wie ich das letzte Mal jemanden enttäuscht hatte. Ich würde ihr vom Tag ihrer Geburt erzählen und was es mir bedeutet, ihre Mum zu sein. Und wenn mich die letzten Jahre etwas gelehrt haben, dann, dass ich es genau jetzt tun sollte, weil … wer weiß, was die Zukunft bringen wird.
Klar, wenn Cassie mir auch nur ein kleines bisschen ähneln wird, wird sie meine Ratschläge ignorieren und ihr Leben auf ihre Weise in die Hand nehmen. Nicht, dass ich das falsch fände … Wenn ich so zurückblicke: Ich hätte nichts anders gemacht. Ich hätte trotzdem alles mitgenommen. Ich hätte trotzdem alles wieder genau so gemacht, inklusive aller Fehler – bis auf den allergrößten …
Lous Lektionen für Cassie, wenn sie sechzehn Jahre alt ist
Liebe Cassie,
ich weiß, du wirst die meisten der folgenden Ratschläge ignorieren, denn wenn du auch nur einen Bruchteil meiner Gene geerbt hast, dann bist du längst davon überzeugt, dein Leben perfekt im Griff zu haben. Aber bitte hab Nachsicht mit mir, ich bin deine Mum. Und damit wären wir schon mittendrin: Tu immer so, als würdest du auf deine Mum hören, denn das macht das Leben viel einfacher.
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