Sherlock Holmes und Old Shatterhand (German Edition)
SHERLOCK HOLMES UND DER STUMME KLAVIERSPIELER
Ich muss es leider zugeben: Manchmal brachten geradezu unglaubliche Zufälle meinen Freund Sherlock Holmes auf die Lösung eines Falles, nicht nur seine stupenden Kenntnisse. Letztere bezog er aus seiner exzessiven Lektüre. Er las schlichtweg alles, was ihm in die Finger kam. Egal, ob es von Ornithologie, Orchideenzucht oder der Musik der Bantu-Neger handelte. Ich glaube, er hatte einen sechsten Sinn für die Notwendigkeit einer bestimmten Lektüre. Dieser sechste Sinn schien ihm zu sagen, dass er spezielle Informationen zu einem bestimmten Thema just zu diesem Zeitpunkt und niemals sonst brauchen würde. Gerade las er in einer Zeitschrift mit dem seltsamen Namen Albania . 1
Ich erinnerte mich vage, dass so ein Land auf dem Balkan hieß.
»Es ist mein Beruf, die abseitigsten Dinge zu wissen«, erklärte er mir auf meine verwunderte Frage hin, was es mit der Zeitschrift auf sich habe. Doch er ließ das Heft voller Neugier sinken, als ich ihm mitteilte, dass ausnahmsweise ich selbst ihm ein Problem unterbreiten wollte.
Wenn ich meine Aufzeichnungen richtig entziffere, war das im Jahre 1900. Mein ehemaliger Studienkollege Hillary Bentingham – nunmehr Sir Hillary – hatte mich völlig überraschend zum Dinner eingeladen. Viele Jahre hatten wir keinerlei Kontakt miteinander gehabt. Bentingham war eine Doppelbegabung, aber obwohl er das absolute Gespür für Formen und Linien besaß, hatte er sich gegen die Kunst und für die Medizin entschieden und war Nervenarzt geworden. Zu seinen Patienten zählten hohe und höchste Persönlichkeiten. Sogar Prinz Edward 2 , den Enkel unserer Königin, hieß es, soll er behandelt haben. Zunächst ließen wir die alten Zeiten auf-und hochleben. Wir leerten jeder eine Flasche besten Rotweins, und nach dem Dessert blieb es nicht bei einem Cognac. Schließlich aber rückte Bentingham mit seinem Anliegen heraus. »Du kannst dir sicherlich denken, dass diese Einladung nicht ganz ohne Hintergedanken erfolgte. Schließlich bin ich der Nervenarzt, was?« Er lachte ein trunkenes, meckerndes Lachen.
»Spuck's aus, alter Junge. Wie kann ich dir helfen?«
»Also, Watson, du bist doch ein Freund von diesem Detektiv, diesem Holmes.«
»Ja, und?«
»Du musst ihn dazu bringen, sich einen meiner Patienten anzusehen.«
»Holmes ist Detektiv. Er bringt Verbrecher zur Strecke. Was in ihren Seelen vorgeht, ist deine Angelegenheit. Schließlich bist du der Seelendoktor, oder?« Diesmal lachte ich.
»Ja, ja. Ganz der alte Sarkast Watson. Nein! Das Problem ist, dass wir nicht wissen, wer der Patient ist. Deshalb nennen wir ihn einfach Max. Mad Max, wenn er nicht zugegen ist. Vielleicht kann dein Freund seine Identität herausfinden. Verstehst du?«
Ich verstand. Und Bentingham begann zu erzählen ... »Bentingham sagt«, referierte ich am nächsten Tag meinem Freund, »der Mann sei von dem italienischen Frachter Altravolta gerettet worden, der nach Korfu unterwegs gewesen war. Er habe in einem halb gesunkenen Ruderboot gesessen, auf dem kein Name mehr stand. Es seien keine Ruder an Bord gewesen, keine Nahrung, kein Wasser. Als sich der Frachter genähert habe, habe er weder gewunken noch gerufen, sondern einfach apathisch dagesessen und alles über sich ergehen lassen. Er habe eine Marineuniform getragen, aber keine Papiere bei sich geführt und reagiere weder auf Italienisch, Französisch, Russisch, Deutsch noch auf eine andere bekannte europäische Sprache. Seinen Namen kenne er angeblich nicht. Weil er aber nach einigen kräftigen Mahlzeiten auf verschiedene englischsprachige Seekommandos reagiert habe, habe man ihn auf Korfu britischen Behörden überstellt. Die hätten ihn nach London bringen lassen und schließlich sei er bei Bentingham gelandet. Dort werde er Max genannt. Mad Max. Bentingham habe auch versucht ihn fotografieren zu lassen, um seine Identität herauszufinden. Darauf habe Max jedoch mit extremem Verhalten reagiert. Er habe versucht, sein Gesicht zu verstecken, sich abgewandt und schließlich den Fotografen bedroht und auf den Fotoapparat eingeschlagen. Aber Bentingham hat eine kleine Porträtzeichnung von ihm angefertigt, aus dem Gedächtnis. Hier bitte!« Ich reichte Holmes das Blatt. Es zeigte einen Mann mit großer Nase, lockigem langen Haar und einem verwegenen Vollbart. Holmes starrte die ganze Zeit angelegentlich auf das Blatt, während ich weiter sprach.
»Das Interessante ist, dass das Einzige, auf das Max positiv
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