Deathbook (German Edition)
Passwortes zugesehen. Ich erinnerte mich so genau daran, weil ich ihr danach einen Vortrag darüber gehalten hatte, dass es viel zu simpel war. Vier Buchstaben. Ein Name aus ihrem Leben.
Lady.
Kathis Facebook-Account war noch geöffnet.
Das tat weh. Ihre Timeline war voller Fotos. Kathi allein oder mit einer ihrer Freundinnen in witzigen oder provokanten Posen. Kathi auf einer Feier, im Bus, das Bild mit ihrer Katze im Arm, das ich schon kannte. Kurz nach ihrem Tod hatten einige ihrer Freunde etwas gepostet, nicht wissend, dass sie nicht mehr lebte. Es waren makabre Einladungen. Was machst du heute Abend? Hey, meld dich mal, kann dich nicht erreichen. So still bei dir, hast du einen neuen Freund?
Dann änderte sich der Ton. Posts erschienen, hinter denen man den Schock und die Trauer erahnen konnte. Ich wollte sie nicht lesen, das ging mir viel zu nahe.
Kathi hatte 533 Freunde. Einige davon waren auf der rechten Seite abgebildet. Mir fiel auf, dass ich ein paar der Gesichter kannte.
Ich loggte mich in meinen Facebook-Account ein.
Einige meiner Freunde waren auch ihre. Viele, die auf meiner Fanpage «Gefällt mir» geklickt hatten, fand ich auch unter Kathis Freunden. Ich hatte sie gebeten, bei den sozialen Netzwerken keinen sichtbaren Kontakt zwischen uns herzustellen. Ich schrieb Thriller und wollte nicht, dass irgendein realer Psychopath da draußen an meinen Familien- oder Freundeskreis herantrat. Kathi hatte sich daran gehalten. Da wir den gleichen Nachnamen trugen, hatte sie sich Kathi Weepunkt genannt. Aber vernetzt waren wir trotzdem. Die ganze Welt war vernetzt.
Ich scrollte durch ältere Posts auf ihrer Seite, fand aber nichts, was mich aufmerksam werden ließ. Daraufhin sah ich mir an, wo sie auf «Gefällt mir» geklickt hatte. Das war eine Menge. Zu viel, um es auf die Schnelle durchzuschauen. Es waren einige Posts darunter, die mit dem Tod zu tun hatten.
Meine Finger schwebten für einen Moment über der Tastatur. Mir war plötzlich danach, etwas auf Kathis Seite zu hinterlassen. Ein paar Worte für sie, die meine Trauer ausdrückten. Ich fand keine, weil es keine Worte dafür gab.
Also schrieb ich schlicht
Ruhe in Frieden
und fragte mich, was wohl mit all den Accounts der Toten dieser Welt geschah. Ich nahm mir vor, diese Frage zu recherchieren.
Dann wandte ich mich ihrem E-Mail-Konto zu.
Es war nicht passwortgeschützt. Sie hatte ihrem simplen Zugangspasswort voll und ganz vertraut. Die verschiedenen Ordner waren prall gefüllt. Allein im Ordner für gesendete Nachrichten lagerten 142 Mails. Der Papierkorb war lange nicht geleert worden. Im Eingangsordner warteten siebzehn Mails darauf, gelesen zu werden. Der Datumsangabe zufolge waren sie alle nach ihrem Tod eingegangen. Die nahm ich mir zuerst vor.
Unglaublich! Es waren drei Mails dabei, die ganz bewusst und als Abschied an eine Tote gerichtet waren. Ich las sie, dabei liefen mir die Tränen nur so herunter. Die anderen vierzehn Mails waren belanglos. Das war ein wenig enttäuschend. Es war spät, und wenn ich mich wirklich durch den Papierkorb wühlen musste, wäre es wohl besser, Kathis Rechner mit zu mir nach Haus zu nehmen. Heiko würde sicher nichts dagegen haben, bei Iris war ich mir nicht sicher. Aber die schlief ja.
Ich entdeckte einen Ordner mit dem Titel «wichtige Post». Er enthielt lediglich drei Mails. Ich klickte ihn an und öffnete die erste Mail. Sie enthielt keinerlei Text, aber einen sehr großen Anhang, eine Videodatei, wie ich an dem Format erkennen konnte. Das war zunächst einmal nichts Ungewöhnliches, schließlich versendeten gerade Jugendliche heutzutage haufenweise Videos. Wahrscheinlich war es Musik. Was mich aufmerksam werden ließ, war der Absender. Anima Moribunda.
Was frei übersetzt so viel hieß wie «todgeweihte Seele».
Ich klickte auf den Videolink.
Kathi ging eine Straße hinunter. Sie trug knöchelhohe schwarze Schuhe mit Absätzen, eine schwarze Strumpfhose und eine kurze graue Hose. Dazu eine engtaillierte Jacke. Über ihrer Schulter baumelte eine graue Ledertasche. Ihr langes braunes Haar trug sie offen. Plötzlich blieb Kathi stehen, drückte auf den Taster einer Fußgängerampel, und noch bevor sie sich zur Kamera umdrehen konnte, brach das Video ab.
Merkwürdig. Sie ging einfach nur die Straße hinunter, sah sich weder um noch nach rechts oder links. Sie schien ein Ziel zu haben. Aber warum hatte sie sich dabei filmen lassen? Die Aufnahme war mit einem Handy gemacht worden. Die
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