Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen
Bewußtsein herstellt.
Dann irgendwann im klaren Raum zwischen Feld und Himmel sah ich meine Wut als das, was sie war.
Dich zu verlieren bedeutet, daß ich erwachsen werden muß - endlich. Und ich habe geschrien und um mich getreten wie ein Kind, das nicht auf die Welt kommen will.
Du allein hast mich der Aufgabe gewachsen geglaubt, also muß ich es sein.
Warum sind die alten Wahrheiten so einfach und doch so schwer zu begreifen? Liebe ist ein zweischneidiges Schwert - etwas anderes kann sie nicht sein. Ich bin für immer reich durch Deine Liebe und für immer arm durch den Verlust von Dir.
Lydia
Die Luft unter den Eiben fühlte sich kühl und feucht auf Kits Haut an. Sie hatte den modrigen Geruch, der ihn an den Matsch erinnerte, in dem er am Flußufer gegraben hatte, aber die Freude über die Erinnerung war von kurzer Dauer. Es schien jetzt keinen Sinn mehr zu haben, Naturwissenschaftler zu werden.
Tess jaulte und zerrte an ihrer Leine, aber Kit blieb beharrlich stehen. Er war noch nicht bereit, aus dem Halbdunkel des Laubengangs zu treten. Er hatte die Bücher dabei, die Nathan ihm geliehen hatte, und er hatte das Gefühl, ihre Rückgabe würde das letzte Band zum Dorf zerschneiden.
Mrs. Miller hatte ihn am Morgen zum Cottage gefahren, um ihm beim Packen seiner restlichen Sachen zu helfen. Nach seinem Besuch bei Nathan wollte sie kommen und ihn abholen. Colin hatte sich schüchtern erboten, ihn zu begleiten, aber Kit hatte abgelehnt. Er wollte ein paar Minuten für sich haben, um dem Cottage Adieu zu sagen.
Er hatte lange im Vordergarten gestanden und auf das Haus gestarrt, sich seine Linien und Unvollkommenheiten eingeprägt. Dann hatte er mit aller Kraft gegen das Schild des Immobilenmaklers getreten. Es war nicht fair. Nichts war verdammt noch mal fair. Wie konnte sein Dad den Gedanken ertragen, daß eine andere Familie im Haus lebte? Und wie konnte sein Dad fortgehen ...
Kit hielt an diesem Punkt auf den ausgefahrenen Gleisen seiner Gedanken inne. Er wollte nicht mehr an seinen Dad denken. Er zog sanft an Tess’ Leine und trat in das Sonnenlicht und in Nathans rückwärtigen Garten hinaus.
Nathan kniete am Rand des Beets in Form eines verschlungenen Knotens und grub mit einem Schäufelchen in der Erde. Er sah lächelnd auf, als Kit und Tess über den Rasen kamen. »Hallo, Kit. Das ist also dein Hund?«
»Sie heißt Tess.« sagte Kit und ging neben ihm in die Knie.
»Sie ist hübsch«, sagte Nathan und kraulte das drahtige Fell und die rosaroten Innenseiten der Ohren. »Warum läßt du sie nicht im Garten frei laufen?« schlug er vor - »Hier kann ihr nichts passieren.«
»Was pflanzt du denn?« wollte Kit wissen, als er Tess von der Leine ließ und zusah, wie sie in großen Sätzen auf die Rotkehlchen zurannte, die an der Hecke pickten. »Die Dinger sehen verdammt welk aus.«
Nathan legte die Schaufel auf seine Knie und starrte auf die erbärmlichen Kräuterpflanzen. »Ja, du hast recht. Ich war nämlich krank und hatte sie schon rausgerissen. Aber mein Freund Adam ist gekommen und hat sie für mich ins Wasser gestellt. Sie wären verdorrt, wenn er nicht gewesen wäre.«
Kit runzelte die Stirn. »Warum hast du sie denn rausgenommen, wenn sie noch in Ordnung waren?«
Nathan streckte die Hand aus und glättete die Erde um die letzte Pflanze mit der Handfläche. »Ich hatte sie für deine Mutter gepflanzt«, sagte er. »Ich dachte, wenn ich sie rausreiße, würde ich sie nicht so sehr vermissen. Ich habe mich getäuscht. Gelegentlich hilft es, sich zu erinnern.«
Kit starrte ihn an. Er glaubte plötzlich zu verstehen. »Du hast meine Mutter liebgehabt, was?«
»Ja, habe ich.« Nathan beobachtete ihn aufmerksam.
»Macht es dir was aus?«
»Weiß ich nicht«, sagte Kit, denn sein kurzer Eifersuchtsanfall ging in den Gedanken über, daß Nathan zumindest verstehen konnte, wie ihm zumute war. »Nein ... vermutlich nicht.« Er sah erneut auf die Pflanzen, dann hielt er Nathan die Plastiktüte hin. »Ich hab dir deine Bücher zurückgebracht.«
Nathan sah auf die Tüte, nahm sie jedoch nicht an. »Ich möchte, daß du sie behältst«, erklärte er dann. »Wir können uns darüber unterhalten, wenn du mich besuchen kommst. Du kommst doch, oder?«
Kit beobachtete Tess, die, die Schnauze dicht am Boden, glücklich durch den Garten trabte, fühlte die Wärme der Mittagssonne wie warmen Honig in seinem Haar, und
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