Deer Lake 01 - Sünden der Nacht
feministischen Gefühle zu verletzen. Sie können dieses Angebot annehmen oder ablehnen. Ich will Sie keinesfalls zwingen, aber wenn Sie meine Offenheit verzeihen, Sie sehen aus, als könnten Sie ein bißchen Hackbraten gebrauchen.
Fürs Protokoll: Ich habe keine Probleme mit Agenten, die zufällig Frauen sind, bin ein einigermaßen aufgeklärter Typ der Neunziger.
Also stecken Sie Ihren Harnisch in die Aktentasche, Agent O’Malley. Glauben Sie mir, es werden genug Typen Schlange stehen, für die Sie ihn wieder rausholen können, aber ich gehöre nicht dazu.«
Megan spürte, wie sie mit jedem Satz kleiner wurde. Am liebsten wäre sie einfach im Teppich versunken.
»Du mußt noch viel lernen, O’Malley«, murmelte sie. Ihr Augenlid zuckte wie verrückt. Sie rieb es, holte tief Luft und schluckte das bißchen Stolz, das ihr noch geblieben war, runter. »Es tut mir leid. Normalerweise ist es nicht meine Art, beleidigende Schlüsse zu ziehen. Ich weiß nicht, was ich zu meiner Entschuldigung sagen kann, außer daß heute nicht unbedingt mein Glückstag war.«
Zwei Jahre in St. Paul, sieben in Minneapolis, Detective, Rauschgiftfahnder. Eine beachtliche Laufbahn, vor allem für eine Frau. Mitch wußte, wie schwer es für eine Frau war, sich in diesem Beruf zu behaupten. Alles war gegen sie – Schulter an kräftiger Schulter, eine Form der Bruderschaft so alt wie die Menschheit. Ohne jede Rücksicht auf qualifizierte Gleichberechtigung. Miss O’Malley mußte hart und gut sein. So wie’s aussah, zeigte sie heute gewisse Verschleißerscheinungen.
Und bei ihm würde sie sicher auch einige hinterlassen, dachte er irritiert. Er führte ein ruhiges, geordnetes Polizeirevier und ein ebensolches Leben. Auf keinen Fall brauchte er irgendeine Frau, die angestürmt kam, ihren BH wie ein Banner schwenkte, auf der Suche nach Ärger, der gar nicht existierte.
»Wenn ich eine Animierdame benötige, suche ich mir ein Etablissement mit solchen Angeboten«, sagte er düster. »Bringen Sie mein Boot nicht ins Schwanken, Agent O’Malley. Störenfriede sind hier fehl am Platze, ob sie nun gut aussehen in einer Strumpfhose oder nicht.«
Er holte tief Luft, wich einen Schritt zurück, ein unerwarteter Geruch ließ ihn die Nase rümpfen. »Interessantes Parfum. Cheddar?« Blutübergossen stand sie da. »Ich bin den halben Nachmittag in einer Käsefabrik hinter meinem Wohnungsschlüssel hergejagt.«
»Sie hatten tatsächlich einen schweren Tag. Ich verordne Hackbraten«, verkündete er. »Vielleicht ein Glas Wein. Definitiv ein Stück Karottenkuchen … Mein Gott, ich bin am Verhungern«, ächzte er und rieb sich seinen flachen Bauch auf dem Weg zur Tür.
Megan folgte ihm zögernd und versuchte zu entscheiden, ob ein Abendessen mit ihm eine Möglichkeit wäre, noch einmal von vorne
anzufangen, oder nur eine weitere Trainingstunde in verbalen Kampftechniken. Sie war sich nicht sicher, ob sie noch genug Kraft für eine der beiden Lösungen hatte, aber das würde sie Mitch Holt bestimmt nicht zeigen. Trotz seiner angeblichen Aufgeklärtheit wußte sie, daß er sowohl Gegner als auch Kollege sein würde. Sie hatte vor langer Zeit gelernt, bei keinem von beiden Schwäche zu zeigen.
Kapitel 3
Tag 1 19 Uhr 33, – 6 Grad
Angezogen sah er auch nicht schlecht aus. Nur eine beiläufige Beobachtung, sagte sich Megan, als Mitch ihre Mäntel in der Garderobe von Grandma’s Attic aufhing. Er hatte sich eine dunkle Bundfaltenhose angezogen, ein elfenbeinfarbenes Hemd und eine dunkle Krawatte mit winzigen Emblemen, die sie nicht genau erkennen konnte. Die Haare hatte er sich gekämmt, oder es zumindest versucht. Dunkelblond und dicht wehrte es sich hartnäckig gegen den modischen Schnitt, seitlich kürzer, Deckhaar länger. Er trug es links gescheitelt und hatte die Angewohnheit, es mit den Fingern zurückzustreichen. Keine eitle Geste, mehr eine automatische, als wäre er darauf gefaßt, daß sie ihm in die Augen fielen.
Megan hatte auch versucht zu retten, was zu retten war und sich in der Damentoilette des Reviers etwas aufgemöbelt. Kurz die Haare wieder zu einem ordentlichen Pferdeschwanz gebürstet, dann etwas Gloss auf die Lippen. Sie versuchte die Wimpertuscheflecken unter ihren Augen wegzureiben und mußte zu ihrem Leidwesen feststellen, daß es Augenringe waren, die verräterischen Anzeichen von Müdigkeit. Ihr Gesicht war kalkweiß, aber dagegen gab es kein Zaubermittel. Sie trug normalerweise kaum Make-up und hatte nichts bei sich.
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