Im Namen des Todes: Roman (German Edition)
1
Während der Messe für den Toten stellte der Priester die Oblaten und den billigen Rotwein auf dem Altarleinen zurecht. Hostienschale und Kelch waren aus schwerem Silber. Der Mann in dem blumengeschmückten Sarg hatte sie der Kirche geschenkt. Der Sarg stand am Fuß der ausgetretenen Stufen, die den Priester von seiner Gemeinde trennten.
Der Verstorbene hatte jeden Tag seiner hundertsechzehn Lebensjahre als gläubiger Katholik verbracht. Erst zehn Monate zuvor war seine Frau gestorben, und er hatte sie schmerzlich vermisst.
Jetzt waren die Bänke der alten Kirche in Spanish Harlem mit seinen Kindern, Enkeln, Ur- und Ururenkeln gefüllt. Viele von ihnen lebten noch in der Gemeinde, andere waren dorthin zurückgekehrt, um den Toten zu betrauern und ihm die letzte Ehre zu erweisen, denn sie hatten ihn geliebt. Seine beiden noch lebenden Brüder, Vettern, Basen, Nichten, Neffen, Freunde, Freundinnen, Nachbarn und Nachbarinnen hatten sich versammelt, sodass die Lebenden die Bankreihen, die Seitenschiffe und den Vorraum füllten und den Verblichenen entsprechend dem uralten Ritual ehrten.
Hector Ortiz war ein guter Mensch gewesen, dem ein gutes, angenehmes Leben vergönnt gewesen war. Er war friedlich in seinem Bett gestorben, umgeben von Fotos seiner Familie und zahlreichen Bildern von Jesus, Maria und Laurentius, seinem Lieblingsheiligen, der sich für seinen Glauben hatte zu Tode rösten lassen und– Ironie des Schicksals– Schutzpatron der Gastwirte geworden war.
Hector würde den Menschen fehlen, aber da er ein langes, angenehmes Leben geführt hatte, das durch einen leichten Tod beendet worden war, herrschte während dieser Totenmesse eine Atmosphäre von Frieden und Akzeptanz– und die um ihn weinten, vergossen die Tränen weniger für den Verblichenen als für sich selbst. Dank ihres Glaubens waren sie gewiss, dass Hector Ortiz seines Seelenfriedens sicher war.
Während der Priester die vertrauen Rituale durchführte, sah er die Trauernden an. Sie erwarteten, dass er bei diesem letzten Tribut an den geliebten Mann die Führung übernahm.
Blumen, Weihrauch und der rauchende Wachs der Kerzen erfüllten die Luft mit ihrem mystischen Geruch. Es war der Geruch von Macht und göttlicher Präsenz.
Der Priester neigte feierlich den Kopf über den Symbolen von Fleisch und Blut, bevor er sich die Hände wusch.
Er hatte Hector gekannt und sich erst in der vergangenen Woche seine letzte Beichte angehört. Während die Gemeinde sich erhob, ging Pater Flores durch den Kopf, dass er bei dieser Gelegnheit dem Mann seine letzte Buße auferlegt hatte.
Dann sprach Flores zur Gemeinde, sie sprachen zu ihm und gemeinsam brachten sie erst das vertraute eucharistische Hochgebet und dann das Sanctus hinter sich.
» Heilig, heilig, heilig Gott, Herr aller Mächte und Gewalten.«
Diese und die folgenden Worte wurden gesungen, denn Hector hatte die Musik der Messe geliebt. Die diversen Stimmen mischten sich mit der magisch duftenden Luft, und dann kniete sich die Gemeinde– während ein Baby leise wimmerte, jemand trocken hustete, Stoffe raschelten und ein paar leise Stimmen flüsterten– für den Segen hin.
Der Priester wartete, bis Stille in der Kirche herrschte.
Dann bat er die Macht des Heiligen Geistes, die Gaben der Hostie und des Weins in den Leib und das Blut Christi zu verwandeln, und trat gemäß dem Ritual als Vertreter Gottes Sohns einen Schritt nach vorn.
Macht. Göttliche Präsenz.
Während der Gekreuzigte von seinem Platz ein Stückchen hinter dem Altar auf ihn heruntersah, war Flores klar, dass jetzt er selbst die Macht in seinen Händen hielt.
» Nehmt dies und esst. Denn dies ist mein Leib«, setzte er an und hielt die Hostie hoch, » den ich für euch gegeben habe.«
Die Glocken läuteten und die Menschen neigten ihre Köpfe.
» Nehmt dies und trinkt. Denn dies ist mein Blut.« Er hob den Kelch. » Das Blut, das für euch und viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Tut dies zu meinem Gedächtnis.«
» Christus ist gestorben, Christus ist auferstanden, Christus wird wiederkommen.«
Sie beteten, der Priester wünschte ihnen und sie wünschten sich gegenseitig Frieden und dann erklangen wieder ihre Stimmen, als sie sangen Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünde der Welt, erbarme dich unser, während der Priester die Hostie brach und ein Stückchen davon in die Schale gab. Die Ministranten stellten sich vor den Altar, als der Priester den Kelch an seine Lippen hob.
In dem Augenblick, in
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