Deer Lake 01 - Sünden der Nacht
während er gegen den Drang zu weinen ankämpfte. Er schlug sich eine Hand auf den Kopf und wischte über seine borstigen Haare, das Muttermal und über sein Glasauge. Es fühlte sich an, als würde sein Körper in seiner schweren Winterkleidung gekocht. Seine Hose und die lange Unterwäsche klebten an ihm, da wo er sich vollgepinkelt hatte. Der Geruch von Urin brannte in seiner Nase.
»Hatten Sie einen Komplizen?«
»Geht es Josh gut?«
»Wenn Sie kooperieren, wird Ihnen das beim Strafmaß helfen.«
»Ist er in Sicherheit?«
»Haben Sie ihn belästigt?«
»Ist er am Leben?«
Die Fragen kamen wie ein erbarmungsloses Sperrfeuer. Und zwischen jeder kreischte die Stimme: Antworte mir, Leslie! Antworte mir! Antworte mir!
»Aufhören!« schrie er und klatschte sich die Hände auf die Ohren. »Aufhören! Aufhören!«
Mitch schlug mit der Faust auf den Tisch und beugte sich zu ihm. »Du findest das schlimm, Olie? Möchtest du, daß wir aufhören, dir Fragen zu stellen? Wie glaubst du, fühlen sich Joshs Eltern? Sie haben ihren kleinen Jungen eine Woche lang nicht gesehen. Sie wissen nicht, ob er lebt oder tot ist. Kannst du dir vorstellen, was die mitmachen? Meinst du nicht auch, daß die wollen, daß das aufhört?«
Olie gab keine Antwort. Er starrte auf das Holzmuster des Resopaltischs, sein Kopf und seine Schultern zitterten. Mitch kämpfte gegen den Drang, ihn zu packen und durchzuschütteln, bis ihm die Augen rausfielen.
»Mr. Sewek«, sagte Megan, und ihre Stimme war hart wie polierter Marmor, »sind Sie sich der Tatsache bewußt, daß während wir hier reden, ein Team von Verbrechenssachverständigen eine genaue Durchsuchung Ihres Hauses und Ihres Fahrzeugs vornehmen?«
»Du fährst wegen Entführung ein, Olie«, tobte Mitch. »Und wenn wir Josh nicht lebend finden – wenn wir Josh überhaupt nicht
finden – fährst du wegen Mord ein. Du wirst nie wieder das Tageslicht sehen.«
»Sie können Ihre Lage nur verbessern, wenn Sie kooperieren, Mr. Sewek.«
Olie legte den Kopf in die Hände. »Ich hab ihm nicht weh getan.«
Es klopfte an der Tür, und Dave Larkin steckte seinen Kopf herein. Sein übliches Beachboylächeln fehlte. »Agent O’Malley?«
Die Formalität war fast so alarmierend wie sein ausdrucksloses Gesicht. Megan stand auf und ging hinaus in das grelle Neonlicht des schmalen Ganges. Im Einsatzraum am Ende des Korridors klingelten ununterbrochen die Telefone, die Atmosphäre vibrierte vor Hektik, daß man kaum an die vorgerückte Stunde glauben konnte. Paige Price war zwar der Konkurrenz zuvorgekommen, aber jeder wollte noch ein Stück vom Kuchen vor den Zehn-Uhr-Nachrichten.
»Redet er?« fragte Larkin.
»Nein. Was gibt’s Neues aus dem Haus?«
»Mann, diese Hütte ist unglaublich. Er muß an die tausend Bücher dahaben und fünf oder sechs Computer …«
»Laserprinter?«
»Nadeldrucker. Aber wir sind da auf etwas gestoßen, was du ganz bestimmt gleich sehen willst.«
Er griff in die Innentasche seiner dicken Daunenjacke und zog einen Plastikbeutel mit Fotos heraus. Megan spürte, wie sie blaß wurde, als sie die Fotos aus dem Beutel zog und eins nach dem anderen ansah. Es war nicht festzustellen, wann oder wo sie aufgenommen waren. Sie kannte keines der Gesichter – lauter kleine Buben, mehr oder weniger nackt.
Ihre Hände zitterten, als sie das Beweismaterial zurück in den Beutel steckte.
»Sie waren in einem Umschlag unter seiner Matratze«, sagte Larkin.
»Zeig ihm die, und dann sehn wir mal, was er dazu zu sagen hat.«
Megan nickte und wandte sich wieder der Tür zu. »He, Irland.«
Sie warf ihm einen Blick über die Schulter zu.
»Nagel seinen Hintern fest.«
Olie hatte den Kopf noch immer in seine Hände gestützt, als sie zurück ins Vernehmungszimmer kam. Mitch sah sie erwartungsvoll an. Sie warf wortlos den Beutel mit Fotos auf den Tisch.
Olie sah sie durch seine Finger an und spürte, wie ihm der Magen in die Hose rutschte.
»Und was haben Sie mir jetzt zu sagen, Mr. Sewek?« Olie kniff die Augen zu und flüsterte: »Ich will einen Anwalt.«
Steiger hatte einen Logenplatz für das Verhör. Das Ärgerliche war, daß er im Ring sein wollte und nicht auf der anderen Seite eines Spionspiegels. Holt und O’Malley hatten ihn ausgeschlossen. Er war gut genug dafür, eine Woche lang im Schnee rumzustapfen, sich die Eier für eine gute Sache abzufrieren, aber beim Verhör wollten sie ihn nicht dabeihaben.
Mr. Superdetective aus Miami würde die ganzen Lorbeeren
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