Deer Lake 01 - Sünden der Nacht
O’Malley. Das ist meine Stadt und meine Ermittlung. Wir werden das auf meine Art durchziehen«, blaffte er. »Es gibt hier nur einen Leithund, und der bin ich. Ist das klar?«
»Und ich soll wohl bei Fuß gehen oder wie ein braves Schoßtier sitzen bleiben?«
»Den Vergleich haben Sie jetzt gebracht, nicht ich«, wehrte er ab.
»Dieser Fall liefert der Presse ohnehin genug Stoff. Keinesfalls soll auch noch Paul wie eine Rakete vor ihnen explodieren.«
»Zumindest in dem Punkt sind wir uns einig. Noch mehr Sendezeit brauch ich wie ein Loch im Kopf, trotzdem vielen Dank«, sie schüttelte den Kopf. »DePalma hat bereits drei Nachrichten hinterlassen, ich soll ihn zurückrufen, damit er mich wegen dem Artikel in der Star Tribune fertigmachen kann.«
»Und Sie haben sie ignoriert?« frotzelte er, »wer macht denn so was?« Megans Augen wurden schmal. »Er ruft mich nicht an, um mir zu sagen, daß ein Kind verschwunden ist. DePalma will mir seine Zähne in den Hals graben und mich beuteln wie eine Ratte – übrigens würde ich zu gerne dabei sein, wenn jemand so etwas mit diesem Arsch Henry Foster macht.«
»Vielleicht könnten wir das als Medienereignis gestalten«, schlug Natalie vor, die gerade das Büro betrat. Sie sah stocksauer aus. »Paige Price setzen wir auf die Liste dazu. Jemand hat ihr das mit den Botschaften gesteckt.«
»Nein«, sagte Mitch, als ob er es damit aus der Welt schaffen könnte. Ihm wurde ganz flau im Magen, als Natalie keine Anstalten machte, es abzustreiten.
»TV 7 hat gerade einen Live-Bericht von der Treppe des Gerichtsgebäudes aus gesendet. Paige Price hat der Welt die Worte vorgelesen, die sie gefunden haben. Sie sagte, sie stammten aus einem Laserdrucker und wären auf gewöhnlichem Papier gedruckt.«
»Scheiße.« Mitch rieb sich mit der Hand übers Gesicht und stellte sich vor, wie Hannah sich fühlen würde, wenn sie hörte, wie diese Zeilen laut im Fernsehen vorgelesen wurden, dachte an Pauls Zorn.
Malte sich aus, wie jeder Irre im Staat seinen Laserdrucker warmlaufen ließ. Und legte im Geiste seine Hände um Paige Price’ Hals, drückte langsam zu.
»Gottverdammte Scheiße«, fauchte er. Kochend vor Wut wandte er sich Natalie zu. »Ruf Hannah an und sag ihr, ich bin unterwegs zu ihr und sag ihr, warum. Funk Steiger an. Sag ihm, ich brauche Paul so schnell wie möglich, und er soll ihn möglichst unauffällig von der Suche abziehen.«
Er ratterte die Befehle herunter wie ein General an der Front, ein Mann, der es gewohnt war, Befehle zu geben, denen man bedingungslos gehorchte. Der Leithund, dachte Megan, Anführer des Rudels.
Seine Assistentin nickte und blätterte den Stapel rosa Telefonnachrichten durch, den sie dabeihatte, sortierte sie nach Dringlichkeit. »Nur damit du’s weißt, Professor Priest und seine Studenten richten sich in dem leeren Laden neben der Einsatzzentrale ein – war mal ein Elektrogeschäft. So wie’s aussieht, zieh’n die Freiwilligen auch dort ein. Es sind so viele, daß sie nicht mehr ins Feuerwehrhaus passen.« »Gehen Sie hin und schauen Sie sich an, was die da auf die Beine stellen«, befahl Mitch Megan, da läutete ihr Telefon.
Sie schnitt hinter seinem Rücken eine Grimasse, als er den Raum verließ. »Alpha-Männchen«, murmelte sie.
Der Anrufbeantworter sagte sein Verslein auf und Brian DePalma knurrte, sie solle ihn auf der Stelle zurückrufen. Megan zuckte kurz zusammen, dann streifte sie sich ihren Parka über.
10 Uhr 02, – 9 Grad
»Mit dem Scanner können wir ein hochwertiges Computerbild von Josh herstellen, das elektronisch an Computer im ganzen Land weitergeleitet werden kann, und diese Computer können dann noch mehr Handzettel drucken«, erklärte Christoph Priest. Er mußte ziemlich laut reden, um sich in dem Getöse von Stimmen, polternden Stühlen und Tischen, die zurechtgerückt wurden, verständlich zu machen. Im Hintergrund dröhnte Wynonna Judd aus dem Radio, das auf eine nahe Countrystation eingestellt war.
Der Student am Terminal war einer von fünfen in Daunenjacken und Pudelmützen, die munter auf ihre Keyboards einhackten. Megan beobachtete, wie Joshs Bild in Farbe auf dem Monitor erschien. Das
strahlende Lächeln, die zerzausten Haare, die Pfadfinderuniform – das Bild war jedesmal ein Faustschlag in den Magen. Ein so glücklicher kleiner Junge. Er hatte noch so viel Leben vor sich.
Wenn sie ihn nur finden könnten! Bald. Die Sekunden verrannen ohne Erbarmen, und sie widerstand dem Drang, auf ihre
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