Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)
erhoben sich grünlich graue Hänge zu dem grellweiß glitzernden Gletscher.
Trotz des Geschreis der Möwen lag eine Stille über alledem. Und Gott, dieses Licht! Die Luft war so klar, dass ich meinte, die Gipfel berühren, einen Brocken von dem Gletscher brechen zu können. Diese Reinheit. Es war himmlisch.
Ich war einen Moment lang sprachlos.
Dann wandte ich mich an Mr. Eriksson: «Ist das …»
Er nickte und sog die Luft ein, es klang wie ein Seufzer. «Ja. Gruhuken.»
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5
7. August, Gruhuken
Unser vierter Tag in Gruhuken. Ich war zu erschöpft, um zu schreiben.
Heute Morgen sind wir mit dem Entladen des Schiffes fertig geworden. Das hieß achtzig Tonnen an Vorräten (und die Hunde) in die Boote hieven und damit an Land rudern; ausgenommen die Behälter mit Brennmaterial, die wir in die Untiefen treiben ließen. Mir war bange wegen der Kisten mit meiner Funkausrüstung – wenn etwas nass wird, ist es irreparabel beschädigt –, aber es ist Gott sei Dank gutgegangen. Dann musste ich sie vor den Hunden sichern, die herumgetollt sind und alles nass gespritzt haben. Und wenn ein Husky losgelassen ist, zerkaut er, was er finden kann: Windjacken, Rucksäcke, Zelte. Schon sind Gus und Algie zur Vernunft gekommen und haben die Biester an Pfosten angebunden. Anfangs haben sie sich mit ohrenbetäubendem Jaulen beschwert, dann haben sie eingesehen, dass es hoffnungslos ist, und sich beruhigt.
Ich habe die schwere Arbeit genossen, nachdem ich auf der Isbjørn förmlich eingesperrt war. Jede «Nacht» – für mich haben diese fremdartigen weißen Nächte nach wie vor etwas Magisches – kehren Eriksson und die Mannschaft zum Schlafen auf das Schiff zurück, wir aber können es gar nicht erwarten, Gruhuken in Besitz zu nehmen, und haben deswegen unser Pyramidenzelt am Strand aufgeschlagen, am Ende der Bucht. Unsere Unterlagen aus Rentierfell sind ungemein komfortabel, nicht einmal die Seevögel halten uns wach.
Wir hatten so viel zu tun, dass ich zeitweise kaum auf die Umgebung geachtet habe. Aber zuweilen halte ich inne und schaue mich um, und dann nehme ich die vielen betriebsamen Lebewesen wahr – Menschen, Hunde, Vögel – und dahinter die Stille. Wie etwas Unendliches, Wachsames, Gegenwärtiges.
Es ist eine unberührte Wildnis. Nun ja, nicht vollkommen unberührt. Ich war ein wenig bestürzt, als ich erfuhr, dass vor uns schon andere hier gewesen sind. Gus hat auf einem Hang hinter dem Lager die Überreste einer kleinen Mine gefunden; er hat ein Brett mitgebracht, offenbar ein Claim, unbeholfen auf Schwedisch beschriftet. Um den Strand für die Hunde gefahrlos zu machen, mussten wir ein Gewirr aus Drähten und Landungshaken sowie etliche große rostige Messer wegräumen; das alles haben wir unter Steinen verscharrt. Und dann ist da diese Hütte, die nebst einer Unmenge Knochen zwischen Felsen kauert.
Gus fragte Mr. Eriksson danach. «Sind hier auch Pelztierjäger gewesen? Oder haben die Bergleute die vielen Knochen hinterlassen?»
Mr. Eriksson sog die Luft ein. «Ja.»
Gus hob die Augenbrauen. «Also was denn jetzt?»
Der Norweger zögerte. «Pelztierjäger zuerst. Bergleute später.»
«Und nach ihnen niemand», sagte ich. «Niemand bis auf uns.»
Mr. Eriksson erwiderte nichts.
Es freut mich, dass das Verhältnis zwischen ihm und uns besser geworden ist; er und seine Mannschaft haben wie besessen gearbeitet, um uns beim Aufbau des Lagers zu helfen, fast so, bemerkte Gus, als hätten sie eine Frist einzuhalten.
Und vielleicht ist es auch so. Mit jedem Tag rückt die Mitternachtssonne dem Horizont näher. In einer Woche, am 16., wird sie zum ersten Mal verschwinden, und wir werden unsere erste kurze Nacht erleben. Mr. Eriksson nennt es «erstes Dunkel». Algie gedenkt das Ereignis mit Whisky zu feiern, doch Mr. Eriksson ist dagegen. Er denkt anscheinend, mit so etwas soll man nicht spaßen.
Ich habe den anderen erzählt, was er über Gruhuken gesagt hat. Dass es Unheil bringt. Gus hat es forsch abgetan, und Algie meinte, ich soll mich nicht von dem Hang des Mannes zum Aberglauben anstecken lassen. Insgeheim denke ich jedoch, sie waren erleichtert, dass es nichts Schlimmeres war. Mir ist auch wohler zumute. Jetzt, wo es offen ausgesprochen ist.
Nachdem heute Morgen die letzte Kiste an Land gebracht wurde, ist die Isbjørn zu der vierzig Seemeilen langen Fahrt ausgelaufen, um unsere Boote, die Kohlen und das Baumaterial für die Hütte zu holen. Es ist gut, dass wir unter uns
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