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Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Titel: Dein Ende wird dunkel sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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Gesicht. Er sah nicht nur gut aus. Seine Züge besaßen eine nahezu gemeißelte Reinheit, die mich an griechische Helden denken ließ. Ich überlegte, wie es sein musste, so ansehnlich zu sein. Gewiss beeinflusste es stets das Verhalten aller, die man um sich hatte?
    Und noch beeindruckender als sein Aussehen war, dass es ihn offenbar aufrichtig interessierte, wie ich zurechtkam.
    «Ehrlich?», erwiderte ich. «Es ist nicht so schlimm, wie ich erwartet hatte.»
    Auf dem Rückweg glitt ein Eissturmvogel so tief über uns, dass ich die Luft unter seinen Flügeln zischen hören konnte. Eissturmvögel sind muntere graue Seevögel, nahe Verwandte des Albatros, sagt Gus. Ich sah diesem nach, wie er über die Wellen hinwegglitt, bis er außer Sicht war. Als wir an den Klippen vorübergingen, hörte ich das Lummenküken immer noch piepsen. Ich wünschte, irgendein Geschöpf würde es fressen und dem ein Ende machen.
    Im Lager trafen wir Algie in bester Laune an. Er hatte sich nach Westen zum nächsten Fjord begeben und war auf eine Landzunge gestoßen, die «proppenvoll mit Eiderenten» war. Er hatte fünf geschossen, und bei seiner Rückkehr hatte er eine Robbe erlegt, zerhackt und an die Hunde verfüttert. Dem vielen Blut nach, das auf die Felsen gespritzt ist, war es eine große Robbe, und Algie ist ein lausiger Metzger.
    Zum Abendessen haben wir die Enten über einem Treibholzfeuer gebraten, nachdem wir (auf Anraten des Schiffskochs) die fischig riechende Haut entfernt hatten. Sie waren das Beste, was ich je gekostet habe. Wir spülten das Geschirr mit Sand und Meerwasser ab, danach lagen wir rauchend und Whisky trinkend herum. Wir diskutierten ausgiebig, ob Amundsen ein größerer Forscher war als Scott und wie Shackleton da hineinpasste und ob Nobile ein Schurke war oder ein anständiger Kerl.
    Wir sind alle zerzaust und sonnengebräunt, unsere Bärte sind schon recht beachtlich. Der von Algie ist rot und struppig. Der von Gus ist natürlich goldblond. Er sagt, ich sehe mit meinem wie ein Seeräuber aus. Er meint wohl, weil ich dunkelhaarig bin.
    Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich mich so gut mit ihnen vertrage. Sicher, manchmal geht Algie mir auf die Nerven. Er ist begriffsstutzig, er schnarcht, und er braucht so viel Platz . Aber Gus betrachte ich langsam als Freund.
    Er ist aber auch sehr überzeugend, dieser Gus. Das ganze Gerede über einen Neubeginn. Ich hätte ihm fast geglaubt. Es hat weh getan. Wie wenn man alte Wunden aufreißt.
    Ich schreibe dies in unserem Zelt. Draußen sind es minus fünf Grad, aber hier drinnen in unseren Eiderdaunen-Schlafsäcken mit Gus’ Automobildecke aus Pelz obenauf ist es ganz behaglich. Die Zeltwände aus grünem Segeltuch schimmern sanft in der weißen arktischen Nacht. Gelegentlich jault einer von den Hunden, aber sie sind hundert Meter entfernt angebunden und mit Robbenfleisch abgefüllt, da ist es nicht so schlimm. Ich kann die kleinen Wellen auf dem Strandkies plätschern hören und die gedämpften Rufe der Seevögel. Und hin und wieder knackt es, wenn in der Bucht ein Eisberg auseinanderbricht.
    Übermorgen erwarten wir die Isbjørn zurück, dann werden wir mit dem Bau unserer Hütte beginnen.
    Damit hatte ich nicht gerechnet: Ich fühle mich hier zu Hause. Gruhuken gefällt mir sehr. Diese Reinheit, diese Einsamkeit. Ja, sogar das Grausame. Weil es ehrlich ist. Es ist Teil des Lebens.
    Ich bin glücklich.
    8. August
    Ein befremdlicher Tag. Nicht unbedingt gut.
    Nach dem Frühstück beschlossen wir, die Ruinen von Gruhuken gründlich in Augenschein zu nehmen, damit wir wissen, was weggeräumt werden muss, wenn die Isbjørn wiederkommt. Zu meinem Verdruss hat Algie die Hunde mitgenommen. (Es ist mir so weit gelungen, sie zu ignorieren, und sie haben meine Abneigung gespürt und sind mir aus dem Weg gegangen.)
    Wieder ein strahlender, in der Sonne fast heißer Tag. Wir erklommen die Hänge, um die zerfallene Mine zu inspizieren – Gus und ich schritten voran, Algie keuchte hinterdrein. Ich stellte erleichtert fest, dass nicht viel von der Mine übrig ist. Ein verrosteter Förderwagen, ein Haufen Schienen, ein paar in die Felsen gesprengte Höhlen.
    «Keine Hütten», bemerkte Algie.
    «Ich habe Eriksson danach gefragt», sagte Gus. «Er sagt, sie wurden unter einem Felsrutsch begraben.»
    Algie verzog das Gesicht. «Die armen Kerle.»
    «Oh, die Bergleute waren nicht drinnen. Aber es war der Tropfen, der das Fass schließlich zum Überlaufen brachte, und sie haben

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