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Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)

Titel: Dein Ende wird dunkel sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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den Ort aufgegeben.»
    «Was meinst du damit, was für ein Fass?», fragte Algie.
    «Was tut das zur Sache?», fuhr ich ihn an. «Es hat nicht funktioniert, also sind sie abgehauen, und das war’s.»
    «Immer ruhig Blut, alter Junge», sagte Algie, der unter seinen Sommersprossen rot angelaufen war.
    Ich dachte gar nicht daran, mich zu entschuldigen. Dieses ganze Aufrühren der Vergangenheit geht mir gegen den Strich.
    Gus, unser Friedensstifter, schlug vor, alles so zu lassen, wie es ist, und wir gingen hinunter, um uns die Hütte zwischen den Felsblöcken anzuschauen.
    Eine grausige kleine Stätte inmitten von Knochenhaufen. Den Hunden behagte es dort auch nicht. Sie schnüffelten nervös umher und stürmten dann den Strand entlang zurück, um unser Zelt zu erforschen. Was hieß, dass Algie und Gus ihnen nachsetzen und sie anbinden mussten. Ich bin mitgekommen, um guten Willen zu zeigen, aber sie haben mich klugerweise nicht gebeten, ihnen zu helfen.
    Als wir wieder zu der Hütte kamen, blieb Gus, der passionierte Biologe, stehen, um die Knochen zu identifizieren. Viele sind verstreut, vereinzelte Walross- und Rentierschädel ohne Körper, aber es gibt auch erkennbare Skelette darunter. Gus zeigte uns solche von Füchsen, fein und zerbrechlich wie Porzellan, und mannsgroße Gerippe von Bären. Und kleinere mit kurzen Gliedmaßen und langen Zehen, die Menschenhänden unheimlich ähnlich sehen und die, so sagt er, von Seehunden stammen.
    Ich bin über ein Claimschild gestolpert, das auf der Erde lag. Ein hübsches aus emailliertem Blech mit ausgestanzten Großbuchstaben auf Englisch, Deutsch und Norwegisch: EIGENTUM DER SPITZBERGEN-FÖRDERGESELLSCHAFT VON EDINBURGH. IN BESITZ GENOMMEN 1905.
    «Und jetzt ist nichts mehr da», sagte Gus und warf das Schild weg.
    Die Hütte selbst war etwa fünf Quadratmeter groß. Ein Schuppen mit drei Wänden aus Treibholzstämmen war an einen großen Felsen angebaut, vermutlich um Holz zu sparen. Das Dach war noch intakt, die Teerpappe flappte trostlos, die Türe war nur circa sechzig Zentimeter hoch, vielleicht damit die Wärme nicht entwich. Das Seitenfenster war zerschmettert worden, höchstwahrscheinlich von einem räuberischen Bären, aber das kleine Fenster, das auf die See hinausging, war noch mit Läden versehen. Drei Schritte davor stand ein in einen Steinhaufen gedrückter Treibholzpfosten. Algie sagte, das sei ein «Bärenpfosten», der dazu diene, Bären vor die Flinte des Pelztierjägers zu locken.
    Gus zog sein Messer hervor und stemmte den Laden des Vorderfensters auf, was eine Kaskade von Glassplittern auslöste. Ein muffiger Seetanggeruch entströmte der alten Hütte.
    Gus spähte hinein. «Ich schlage vor, wir benutzen sie als Hundehütte. Was meinst du, Algie?»
    Algie zuckte mit den Achseln. «Bisschen klein. Es wäre aber schade, sie ungenutzt zu lassen.» Er sah mich an. «Möchtest du einen Blick hineinwerfen, Jack?»
    Ich wollte nicht, aber mir fiel keine Ausrede ein.
    Ich habe beengte Räume noch nie leiden können, und als ich hinter ihm hineinkroch, sank mir der Mut. Das Geschrei der Möwen fiel zurück. Ich hörte nur noch den klagenden Wind im Ofenrohr. Der Geruch schnürte mir die Kehle zu: vermoderter Seetang und noch etwas anderes. Als sei etwas hier hineingekrochen, um zu sterben.
    Die Wände waren rußgeschwärzt, die Decke war so niedrig, dass man nur mit eingezogenem Kopf stehen konnte. In einer Ecke hockte ein verrosteter Eisenofen auf kurzen geschwungenen Beinen. Die hölzerne Schlafkoje an der Rückwand war unter einem Haufen Gerümpel zusammengebrochen, das der Sturm hereingeweht hatte. Beim Herumwühlen fand Algie ein verschimmeltes Rentierfell und einen zerbeulten Blechteller. Er rümpfte die Nase. «Abscheulich. Unmöglich für die Hunde.» Er kroch hinaus. Ich blieb noch. Ich weiß nicht, warum.
    Zum ersten Mal seit der Ankunft in Gruhuken dachte ich an die Männer, die vor uns hier gewesen waren, die diese Hütte aus vom Strand herbeigeschleppten Stämmen gebaut, die «Dunkelzeit» durchgestanden hatten, dann fortgegangen waren und nichts hinterlassen hatten als einen Blechteller und einen Haufen Knochen.
    Wie mag das gewesen sein? Kein Radio, vielleicht nicht einmal ein Kamerad; bestenfalls ein einziger, bei einer so kleinen Hütte. Zu wissen, dass man der einzige Mensch in dieser weiten Wildnis ist.
    Ich trat ans Vorderfenster, entfernte die Glassplitter aus dem Rahmen und steckte den Kopf hinaus. Kein Zeichen von Algie oder Gus. Der

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