Dein Ende wird dunkel sein (German Edition)
den Teergeruch. Vor allem aber mag ich das weiche, wässrige, fortwährende Licht. Hugo sagt, so stellen sich die Katholiken vermutlich das Fegefeuer vor, und vielleicht hat er recht. Es gibt keine Morgen- und keine Abenddämmerung. Die Zeit hat keine Bedeutung. Wir haben die wirkliche Welt verlassen und ein Traumland betreten.
Gewiss, die Möwen kreischen Tag und Nacht, weil sie nicht dazwischen unterscheiden können, aber nicht einmal das stört mich. Ich schreibe dies bei offenen Vorhängen in der eigenartigen, perlmuttfarbenen «Nacht», die keine ist. Ich kann nicht schlafen. Die Expedition findet tatsächlich statt. Alles, was wir tun, alles , lässt sie umso wirklicher werden.
Ich hatte recht damit, dass Gus ein Boy’s Own -Held ist. Er hat das kantige Kinn, die klaren blauen Augen nicht umsonst; er nimmt seine Aufgabe als Expeditionsleiter ernst. Das Komische daran ist, es ist mir nicht unangenehm, vielleicht weil ich das Gefühl habe, dass die Expedition ihm so viel bedeutet wie mir.
Vor Monaten hat er den hiesigen englischen Vizekonsul als unseren Vermittler gewonnen. Er heißt Armstrong, und er hat sich ins Zeug gelegt. Er hat ein Schiff gemietet, das uns nach Gruhuken bringen wird. Er hat Kohlen, Boote und Baumaterial für unsere Hütte gekauft und an der Küste abladen lassen, wo sie später abgeholt werden. Er hat einen Schlitten und ein Hundegespann gekauft und uns bei der norwegischen Regierung die Erlaubnis zum Überwintern besorgt. Er hat uns sogar Zimmer im Grand Hotel reserviert – das wirklich ganz grandios ist.
Er hat uns auch ans Herz gelegt, mit Mr. Eriksson zu sprechen, dem Schiffskapitän, der ein Problem mit Gruhuken hat. Offenbar findet er es nicht «geeignet» für ein Lager. Es freut mich, sagen zu können, dass keiner von uns geneigt ist, die Angelegenheit mit Eriksson zu besprechen, vielen Dank auch, und das hat Gus ihm stillschweigend zu verstehen gegeben. Nachdem wir uns über Wochen in Berichte von den vorausgegangenen Expeditionen vertieft hatten, haben wir uns für Gruhuken entschieden. Es steht einem norwegischen Seemann nicht an, unsere Pläne über den Haufen zu werfen. Wenn er uns bis August hinbringt, damit wir vor dem Winter das zweite Lager auf dem kleinen Gletscher aufschlagen können, kann er seine Aufgabe als erledigt betrachten.
26. Juli
Die Geldbeträge, die wir ausgeben, es ist erschreckend!
In London war Hugo dafür zuständig, die Finanzierung aufzutreiben, und ich muss sagen, er hat seine Sache gut gemacht. Er besitzt ein nahezu anwaltliches Talent, Leute zu überzeugen; er hat Preisnachlässe erwirkt bei Firmen, die sich eine namentliche Erwähnung erhofften, und er hat das Kriegsministerium überredet, mir die Funkausrüstung unentgeltlich zu überlassen. Alles Übrige kommt aus dem Expeditionsfonds, der sich aus Geldzuwendungen des University Exploration Clubs, der Königlich Geographischen Gesellschaft und «einzelner Spender» (ich vermute Tanten) zusammensetzt, insgesamt: 3000 Pfund. Gus sagt, wir müssen «sparsam sein», weshalb wir das meiste in Norwegen kaufen, weil es dort viel billiger ist; doch für ihn bedeutet «sparsam sein» nicht dasselbe wie für mich.
Was wir in Norwegen nicht bekommen können, haben wir in Newcastle gekauft: Eipulver, Schokoladentafeln und – da Norwegen «trocken» ist – Schnaps, Tabak und Zigaretten. Dabei habe ich erfahren, dass die Reichen andere Prioritäten setzen. Schiffspassagen dritter Klasse nach Norwegen, eine Kiste Oxford-Orangenmarmelade und dann zwei Flaschen Champagner für Weihnachten.
In Tromsø haben wir uns aufgeführt wie in einem Süßwarenladen losgelassene Kinder. Bergeweise Marmelade, Tee, Kaffee, Mehl, Hefe, Zucker und Kakao; Obst in Dosen, getrocknetes Gemüse, Butter ( keine Margarine; ich glaube nicht, dass die anderen sie schon einmal probiert haben) und Kisten mit etwas namens «Pemmikan», Dörrfleisch in Dosen: eine Sorte für uns, eine andere für die Hunde.
Und unsere Kleidung! Langes seidenes Unterzeug ( seiden !), wollene Strümpfe, Fäustlinge, Schals und Pullover; Kapokwesten, Kordsamthosen und wasserfeste Hosen; Anoraks (eine Art Windjacke mit Kapuze), Gummistiefel, Schutzhandschuhe aus Pferdeleder und wollene Kopfschützer. Für die kälteste Witterung haben wir von den Lappen angefertigte Lederstiefel gekauft, dick gefüttert und an den Zehen aufgebogen. Man kauft sie viel zu groß, damit man sie zu gegebener Zeit mit Stroh ausstopfen kann.
Hugo ließ den Ausstatter ein
Weitere Kostenlose Bücher