Dein ist die Rache. McAvoys zweiter Fall: Ein Yorkshire-Krimi (Ein Aector-McAvoy-Krimi) (German Edition)

Dale?«
    »Nahe genug.«
    »Adresse?«
    Sie nickt. Schluckt hinunter. Zieht ihr Funkgerät aus der Handtasche und ruft die Zentrale.
    »Hier ist Trish Pharaoh«, sagt sie. »Sie müssen eine Adresse für mich überprüfen. Beck Lane, Welton. Danke.«
    Schweigend warten sie, wie auf eine Diagnose.
    McAvoy runzelt die Stirn. »Er hätte sich doch kein Taxi gerufen, oder? Man bringt doch nicht jemanden um und fährt dann im Taxi nach Hause …«
    Pharaoh zuckt die Achseln. » Morrison’s ist nur eine Minute von hier entfernt. Er hätte Simon abmurksen und anschließend hingehen können. Taxi rufen, das Telefon auf dem Heimweg wegwerfen. Wer hätte da schon draufkommen sollen? Ist ja nichts Verbotenes, sich mit den Einkäufen per Taxi nach Hause chauffieren zu lassen.«
    »Hatte der Passagier Einkaufstüten dabei? Haben wir eine Beschreibung?«
    »Der Fahrer macht anscheinend gerade in Marbella Urlaub. Sie versuchen, ihn auf dem Handy zu erreichen.«
    Die Zeit vergeht. Um sich zu beschäftigen, zupft McAvoy ein Blatt von einer Ligusterhecke und faltet es in Viertel. Pharaoh presst sich die Fingerknöchel gegen die Stirn.
    Beide zucken zusammen, als das Funkgerät knistert. »Hier Zentrale, Chefin. Wir haben die Info für Sie. Das Haus gehört einem gewissen Peter Tressider. Er ist Stadtrat, steht hier.«
    Pharaoh und McAvoy starren sich an. Nach einer Weile schaltet Pharaoh das Funkgerät aus.
    »Könnte reiner Zufall sein«, meint McAvoy instinktiv. Aber noch während er es sagt, schießen ihm Bilder durch den Kopf: das Flussufer, zwei Strichmännchen in der Ferne und das Telefon, das ihm aus dem Schlamm zublinzelt.
    »Nein«, sagt seine Chefin. »Aber.«
    »Ja. Aber.«
    Pharaoh lässt den Kopf auf die Motorhaube sinken. Fragt sich, ob ihre Verletzungen schon genügend verheilt sind, um die Verbände abzunehmen.
    Sie will so gut wie möglich aussehen, wenn sie den Vorsitzenden der Polizeidirektion in Verbindung mit einem Mord befragt.

Kapitel 26
    An sonnigen Tagen führen alle Wege zum Country Park Inn . Er liegt nicht mehr als ein paar hundert Meter entfernt von der Stelle, an dem die Humber Bridge Yorkshire mit Lincolnshire verknüpft, und von nirgendwo in der ganzen Grafschaft hat man einen so tollen Blick auf die hochgeschwungene Brücke mit ihren stählernen Harfensaiten. Maulwurfperspektive, hatte McAvoy es genannt, als er Roisin erstmals hierher ausführte. Sie war so nett gewesen, darüber zu lachen.
    Die Tische im vorderen Bereich der Veranda sind meistens voll besetzt. Familien trinken geeisten Cider und schnippen Zigarettenstummel auf den Kieselstrand, der hinab zum kaffeebraunen Wasser führt. Am anderen Ufer liegt ein sumpfiger Streifen zwischen dem Fluss und Barton. Dort gibt es ein Naturschutzgebiet, das zu besuchen McAvoy bisher keine Gelegenheit hatte, außerdem eine Kunstgalerie, die einmal das längste ziegelgedeckte Gebäude Europas war. Früher befand sich darin eine in Konkurs gegangene Seilfabrik. McAvoy hat gelesen, dass sie die Seile für Hillarys Erstbesteigung des Mount Everest herstellten. Einer dieser unwichtigen Informationsfetzen, die man nicht mehr loswird.
    Könnte ein völlig anderes Land sein , denkt McAvoy, während er übers Wasser starrt. North Lincolnshire bleibt irgendwie immer »da drüben«.
    Der Fluss, der die beiden Grafschaften trennt, ist dasselbe Band aus Schlamm und starken Strömungen, das Jahrhunderte zuvor die Römer auf ihrem Vormarsch nach Norden gestoppt hat. Auch heute noch stellt er eine Barriere dar.
    »Humberside« war beiderseits des Flusses empört, als die Regierung versuchte, eine neue Grafschaft zu bilden, die Ortschaften nördlich und südlich des Flusses verband.
    Gelbbäuche . So nennen die Leute aus Yorkshire die aus Lincolnshire. Armselige, mistige Geizkrägen lautet die weniger poetische Replik von jenseits des Wassers.
    Es herrschte allenthalben Freude, als die alten Grenzen wiederhergestellt wurden. Hull war wieder Yorkshire. Nur die Polizei von Humberside hat Pech gehabt mit ihrem Namen. Sie ist für beide Ufer zuständig.
    McAvoy gefällt es hier. Da ist er nicht der Einzige. Zwar peitscht noch ein kalter Wind von Osten heran, doch ein winziger Flecken blauen Himmels hat ausgereicht, die Säufer der Region zu der Überzeugung zu bringen, dass die Freiluftsaison angebrochen ist. Es drängen sich gut und gern fünfzig warm eingepackte Leute vor dem Pub, Gläser und Flaschen in den Händen, als McAvoy und Pharaoh über den Parkplatz