DEIN LETZTER TANZ
Donna erwachte, fand sie sich in einer merkwürdig anmutenden Umgebung wieder. Spießige rosafarbene Blümchentapeten schmückten die Wände des Raumes, von der Decke baumelte eine nackte Glühbirne herab, und das einzige Fenster war mit einem geblümten Vorhang verdeckt.
Das Nächste, was sie registrierte, war, dass sie weder Arme noch Beine bewegen konnte. Sofort begann ihr Herz wieder zu rasen. Sie zwang sich, tief durchzuatmen, und sah an sich herunter: Sie war an den Stuhl, auf dem sie saß, gefesselt worden.
Verdammt, wo war sie hier nur? Wie viel Zeit war vergangen? Und was hatte Max mit ihr vor?
Max … Noch immer konnte sie nicht fassen, dass das, was sie eben erlebt hatte, wirklich wahr sein sollte. Ausgerechnet er, der Junge, dem sie blind ihr Leben anvertraut hätte. Nein, das durfte einfach nicht wahr sein!
In diesem Moment wurde die Tür geöffnet, und Max trat ein. Mit ihm war eine erschreckende Veränderung vor sich gegangen. Kaum noch etwas erinnerte an den sympathischen Jungen, in den sie sich bis über beide Ohren verknallt hatte.
Verknallt? Sie unterdrückte ein hysterisches Lachen. Ja, sie hatte sich in Max verknallt. In Max, den verrückten Attentäter. Max, den Killer! Keisha hatte anscheinend vollkommen recht gehabt mit dem, was sie sagte: Verknalltsein war eine Sache, Liebe jedoch eine vollkommen andere. Dummerweise würde sie jetzt wohl niemals in den Genuss kommen, diese Erkenntnis anzuwenden.
„Bitte, Max, lass mich einfach gehen“, flehte sie noch einmal. „Das hat doch alles keinen Sinn. Selbst wenn du das Erbe am Ende für dich beanspruchen kannst – sie kriegen dich ja doch. Und im Knast wirst du mit dem ganzen Geld nicht viel anfangen können.“
„Wer sagt denn, dass ich in den Knast gehe?“, fragte er fröhlich. „Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, aber das habe ich überhaupt nicht vor. Weißt du, ich dachte eigentlich, dass ich jemand anderem die Schuld für deinen Tod in die Schuhe schieben könnte. Gavin zum Beispiel.“ Er lachte. „Der hat ja schon einmal einen guten Sündenbock abgegeben. Warum sollte das nicht noch mal klappen? Sowieso bist du ja selbst schuld, dass es überhaupt so weit gekommen ist. Deine und die deiner dämlichen Eltern. Ich wollte euch eigentlich nur Ärger machen, damit ihr den Zirkus dichtmacht, aber ihr seid ja so was von stur! Tja, da musste ich halt mit härteren Bandagen kämpfen. Die Sache mit der Säure in Clives Plastikblume war doch zum Beispiel echt der Oberbrüller, oder?“ Wieder fing er lauthals an zu lachen. Dann wurde er schlagartig ernst. „Weißt du, irgendwie tut es mir ja schon leid, dass du jetzt dran glauben musst. Aber du bist einfach zu neugierig.“
„Tu’s nicht! Ich bitte dich, lass mich in Ruhe. Du kannst das Geld haben, wir wollen es gar nicht. Bis vor Kurzem wussten wir ja nicht mal, dass es überhaupt ein Erbe gibt!“
Max zog sich einen Stuhl heran und setzte sich direkt Donna gegenüber. „Soll ich dir mal eine Geschichte erzählen? Willst du hören, was für eine tolle Jugend ich hatte, als Sohn einer Säuferin und eines Versagers? Ich kann dir sagen, ich war richtig froh, als meine sogenannte Familie bei einem Autounfall ums Leben kam und ich noch mal ganz von vorne anfangen konnte.“ Er lächelte. „Ich war damals übrigens gerade mal fünf Jahre alt und wusste nichts von meinem Großvater, der es vorgezogen hatte, mich aus seinem Leben zu streichen.“
„Nein, Max, ich glaube nicht, dass Bruno …“
Er winkte ab. „Ach, das ist ja auch egal. Und jetzt verschone mich mit deinem Gequatsche. Ich muss nachdenken, wie ich dich am besten loswerde, ohne dass am Ende der Verdacht auf mich fällt.“
Mit diesen Worten zückte er eine Rolle Paketklebeband, riss ein Stück davon ab und klebte Donna damit den Mund zu.
„Ich habe gesehen, wie sie in Max’ Wagen gestiegen ist“, sagte Clive. „Dann sind sie zusammen weggefahren.“
„Danke, Kumpel.“ Gavin klopfte ihm auf die Schulter. „Genau das habe ich befürchtet.“
„Was ist denn überhaupt los?“
„Erklär ich dir später. Tu mir nur einen Gefallen: Ruf mich sofort auf meinem Handy an, falls Donna wieder hier auftaucht oder irgendwas von sich hören lässt. Warte, ich geb dir meine Nummer.“
Clive nickte. „Alles klar. Kein Problem.“ Dann kehrte er ins Zirkuszelt zurück, um seine neueste Nummer noch einmal zu proben, denn da an diesem Abend keine Vorstellung war, konnten die Artisten frei über ihre Zeit
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