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Delia und der Sohn des Häuptlings

Delia und der Sohn des Häuptlings

Titel: Delia und der Sohn des Häuptlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Louise Fischer
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„Tischler“ benutzt, weil sie in der Sprache der Iowanokas keine entsprechende Bezeichnung kannte. Akitu verstand sie nicht, endlich fiel ihr das englische Wort ein, aber auch das brachte sie nicht weiter. Da beschrieb sie ihm, so gut sie konnte, in der Sprache der Indianer, was ein Tischler alles konnte.
    Zu ihrem Erstaunen verdunkelten sich seine Augen. „Nein“, sagte er hart, „Akitu will kein Mann werden, der niedrige Arbeit tut. Akitu wird ein Krieger.“
    „Ja, glaubst du denn, es ist besser, andere Menschen zu töten, als etwas Nützliches und Vernünftiges zu arbeiten?“ fragte Delia verblüfft.
    „Wenn Akitu Häuptling ist, wird er die Iowanokas wieder in den Kampf führen“, erklärte der Indianerjunge entschlossen. „In den großen Kampf gegen die Bleichgesichter.“
    „Nein“, sagte Delia erschrocken, als wenn Akitu schon im nächsten Augenblick erwachsen sein könnte, „das darfst du nicht! Die Weißen sind viel stärker. Sie haben andere Waffen als ihr, mehr Waffen, Gewehre, die schneller schießen. Und wenn du nur wüsstest, wie viele sie sind! Jeden Tag landen riesige Schiffe im Hafen von New York, und sie alle sind voll von Einwanderern.“
    „Akitu und seine Männer werden die Bleichgesichter töten.“
    „Ihr werdet viele umbringen, das glaube ich schon“, sagte Delia, „aber zum Schluss werdet ihr selbst getötet werden, und was habt ihr dann davon?“
    „Wir werden in die ewigen Jagdgründe eingehen“, behauptete Akitu ernsthaft.
    „Ihr irrt euch bestimmt“, sagte sie. „Gott will nicht den Krieg. Er will, dass wir Menschen uns vertragen und Frieden halten.“
    „Hat er euch deshalb über das große Wasser geschickt?“ fragte Akitu, Bitterkeit in der Stimme. „Seid ihr deshalb mit euren Donnerbüchsen gekommen und mit eurem Feuerwasser, um uns unser Land wegzunehmen?“
    Darauf war schwer eine Antwort zu finden. Delia wusste, dass unter den Einwanderern viele fromme Leute waren, in deren Augen die Indianer kaum mehr als Tiere galten. Die Einwanderer fühlten sich im Recht, für ihre Familien soviel Land zu nehmen, wie sie brauchten. Waren sie schlecht?
    Delia fühlte sich plötzlich schuldig; schuldig für ihre Landsleute, die gedankenlos und egoistisch handelten. „Gott wird sie dafür bestrafen“, sagte sie, „wenn nicht in dieser Welt, dann später. Alle schlimmen Leute kommen in die Hölle.“
    Natürlich wusste Akitu nicht, was die Hölle war, und Delia musste es ihm erst erklären. Doch dann wechselte sie rasch das Thema.
    „Aber jetzt sei friedlich! Du weißt, ich bin nicht gekommen, um euch euer Land wegzunehmen. Ich will nur meinen Vater suchen und mit ihm wieder zurück nach Europa fahren.“
    „Dich will ich ja auch nicht töten“, sagte Akitu.
    „Wäre ja auch noch schöner! Schließlich bist du doch mein Blutsbruder. Oder gilt das nichts mehr, wenn du erst erwachsen und Häuptling bist?“
    „Nein“, sagte Akitu ernst, „das gilt immer.“
    Sie saßen noch eine Weile im Schatten der riesigen grünen Bäume, die das Ufer und den Fluss fast zur Mitte hin überdachten. Akitu hobelte eifrig am Kanu herum.
    Als sie ins Dorf zurückkamen, merkten sie gleich, dass etwas Besonderes los war. Von Inona erfuhr sie, um was es sich handelte.
    Der Häuptling hatte mit den kampffähigen Männern das Dorf verlassen. Doch sie hatten sich nicht auf den Kriegspfad begeben. Sie waren zu einem Treffen mit den Irokesen aufgebrochen, einem mächtigen Indianervolk, dem sich auch schon mancher fremde Indianerstamm angeschlossen hatte.
    Ehe die Weißen begonnen hatten, das Land zu erobern, und sogar noch eine Weile danach, hatten die Indianer untereinander heftig Krieg geführt. Inzwischen hatten sie freilich gelernt, dass Einigkeit stark macht.
    Delia und Akitu interessierten sich nicht besonders für Indianerpolitik. Aber sie begriffen beide, ohne dass sie ein Wort miteinander gewechselt hatten, dass jetzt eine günstige Gelegenheit gekommen war, den Fluss hinunterzufahren und Bill den Trapper am Orio-See aufzusuchen. Das Kanu war zwar noch nicht schön glatt poliert, aber immerhin soweit fertig, dass man darin auf dem Wasser fahren konnte.
    „Bei Sonnenaufgang“, raunte Akitu, als sie sich abends trennten.
    Und „Bei Sonnenaufgang“, flüsterte sie zurück.
    Delia konnte an diesem Abend lange nicht einschlafen. Sie hatte sich so fest vorgenommen, keine Heimlichkeiten mehr zu haben, und jetzt war es doch wieder soweit. Sie wusste wohl, dass man auch ohne Worte lügen

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