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Delia und der Sohn des Häuptlings

Delia und der Sohn des Häuptlings

Titel: Delia und der Sohn des Häuptlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Louise Fischer
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Tränen, die ihr — welche Schande! — in die Augen zu treten drohten, tapfer hinunter.

Unter anderen Umständen hätte Delia sich gewiss gefreut, in die Welt der Weißen zurückzukehren. Es war eben doch etwas anderes, freundlich lächelnde Gesichter zu sehen, statt der ewig starren Mienen der Indianer, zu schwatzen und zu lachen, auf einem Stuhl oder gar in einem Polstersessel zu sitzen, statt auf dem Boden zu hocken.
    Das alles wurde Delia auf Fort Chickdown geboten und noch viel mehr. Der Kommandant hatte sie gleich nach Akitus Gefangennahme zu seiner Familie hinübergebracht, zu seiner Frau, einer netten, rundlichen Dame, und Linda, seiner jüngsten Tochter. Linda war zwei Jahre älter als Delia und als einzige noch zu Hause. Ihre älteren Geschwister waren verheiratet und wohnten in New York oder auf anderen Forts. Linda war ein hübsches, langbeiniges, hellhäutiges Mädchen mit dicken blonden Zöpfen.
    Mutter und Tochter nahmen Delia mit einer Herzlichkeit auf, als wäre sie ein lange vermisstes Mitglied der Familie. Sofort wurde in einer großen hölzernen Butte ein warmes Bad zurechtgemacht, in dem Delia sich selbst und ihr Haar wusch — wann hatte sie diesen Genuss zum letzten Mal gehabt!
    Anschließend durfte der Mops in die Wanne. Linda seifte ihn ein und trocknete ihn ab, wie wenn er ein hilfloses Baby wäre. Der kleine Gauner fand sich in seiner neuen Rolle schnell zurecht und benahm sich wie ein echter, verspielter Schoßhund — niemand hätte ihm angesehen, was für gefährliche Abenteuer er schon tapfer durchgestanden hatte. Linda band ihm eine hübsche rosa Schleife um den Hals, und er trug sie, als ob er es so und nicht anders gewohnt wäre.
    Als Delia später in den Spiegel sah, erkannte sie sich selbst kaum wieder — es war ihr, als ob sie sich einem Bild aus längst vergangener Zeit gegenübersähe. Linda hatte sie mit ihren eigenen Sachen versehen. Jetzt trug Delia wieder ein Kleid mit eng anliegendem Oberteil, hellgrün, mit weitem, langem Rock und Puffärmeln, darunter blickten kokett die langen Beine der Spitzenunterhosen hervor, weiß durchbrochene Kniestrümpfe, Schnallenschuhe.
    Linda hatte Delias braunes, leicht gelocktes Haar mit Hingabe gekämmt und gebürstet, bis es weich und glatt wie Seide war. Dann hatte sie es zu zwei Zöpfen geflochten, die sie ihr über den Ohren zu Schnecken gedreht hatte. Fast sah Delia jetzt wieder wie das nicht ganz brave kleine Mädchen in Schönau aus.
    Während Linda sich mühte, die wilde Indianerin wieder in eine feine „Mademoiselle“ zu verwandeln, ging ihr Mund unentwegt wie ein Spielwerk. Sie erzählte, fragte, wunderte sich, erzählte — anfangs kam das Delia ganz befremdlich vor; sie hatte bei den Indianern gelernt, nutzloses Geschwätz zu vermeiden.
    Aber allmählich taute sie auf und plauderte mit Linda um die Wette. Sie erzählte alles, was sie erlebt hatte, seit sie das Elternhaus auf dem Weg zum Internat verlassen hatte, und Linda kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Auch ihr eigenes Leben war nicht in so geordneten bürgerlichen Bahnen verlaufen wie das der europäischen Kinder. Linda hatte auf verschiedenen Forts gelebt, sie hatte Indianerüberfälle mitgemacht, war weit im Land herumgekommen, hatte unendlich viele Menschen kennengelernt, Verzweifelte und Hoffnungsvolle, Abenteurer, Jäger, Soldaten und Landsucher. Aber ein Mädchen wie Delia war ihr noch nie begegnet.
    Es gibt kaum einen stärkeren Anstoß für den Beginn einer Freundschaft als echte gegenseitige Bewunderung, und so kam es, dass Delia und Linda sehr rasch Freundinnen wurden und das Gefühl hatten, sich schon jahrelang zu kennen.
    Es war keine Alltagsfreundschaft, die irgendwann hätte langweilig werden können. Dazu waren sie zu verschieden, die lebendige, fröhliche, impulsive Delia, und die gut erzogene, mädchenhafte, ein wenig kokette Linda.
    Der Kommandant ließ sich den ganzen Tag nicht blicken. Delia musste sich wieder daran gewöhnen, unter Frauen zu leben. Das war merkwürdig und doch — angenehm!
    So stark, wie seit Langem nicht mehr, dachte sie an die Mutter und die Schwestern, an ihr gemütliches, schönes Heim in Schönau. Als sie bei den Indianern gelebt hatte, hatte sie diese Sehnsüchte und Erinnerungen einfach beiseite geschoben. Aber hier, im Haus des Kommandanten, ging das nicht so leicht. Die schön geschwungene Rosenholzkommode, die Familienbilder in den ovalen Rahmen, das weiße Damast-Tischtuch, das silberne Besteck, die Kerzen —

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