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Delia und der Sohn des Häuptlings

Delia und der Sohn des Häuptlings

Titel: Delia und der Sohn des Häuptlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Louise Fischer
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alles rief das Bild der Heimat in Delia zurück, einer Heimat, die sie vielleicht für immer verloren hatte. Ohne dass sie es selbst merkte, erzählte sie immer weniger von den Iowanokas, von Bill dem Trapper und den Irokesen, aber immer mehr von ihrer Mutter, den großen Schwestern Anna und Agathe — ob sie inzwischen wohl einen Mann gefunden hatten? — und von Sophie, ihrer alten, guten Betreuerin. Sie bekam dabei glänzende Augen, und ihre Mundwinkel begannen verdächtig zu zucken.
    Linda legte ihren Arm um Delias Schulter. „Du kannst ja wieder nach Hause zurück, Delia“, sagte sie mitfühlend. Delia sah sie aus feuchten Augen an. „Wie denn?“
    „Höchst einfach! Du bittest meinen Vater, dich bei nächster Gelegenheit nach New York zurückzuschicken. Es kommen immer mal Kaufleute hier vorbei, die nach New York müssen … oder Offiziere, die ihren Urlaub dort verbringen wollen. Und wenn du erst einmal in New York bist, findest du bestimmt eine Gelegenheit, nach Europa zurückzufahren — ganz bestimmt!“
    Delia sah die neue Freundin nachdenklich an. „Du“, sagte sie, „daran habe ich überhaupt nicht gedacht!“
    Linda lächelte. „Da siehst du: ein Glück, dass du mich getroffen hast!“ Sie setzte sich in den Schaukelstuhl, stieß sich mit dem zierlichen Fuß ab und ließ sich auf und ab wippen. „Ich an deiner Stelle würde zurückfahren. Es ist das Beste, was du tun kannst. Deine Mutter und deine Schwestern stehen dir doch näher als dein Onkel, nicht wahr?“
    „Ja“, sagte Delia, „natürlich …“ Sie hatte die Stirn in Falten gelegt, nagte an ihrer Unterlippe.
    „Na also, Darling“, sagte Linda, „was gibt es da noch zu überlegen? Wer würde freiwillig in diesem wilden Land leben, wenn er es besser haben kann?“ Sie schaukelte heftig, und der Mops, den das offensichtlich zu beeindrucken schien, war mit einem Satz auf ihrem Schoß.
    „Aber du“, sagte Delia, „lebst ja auch hier!“
    „Ich bin hier geboren, weißt du“, erklärte Linda. „Ich bin eine waschechte Amerikanerin und gehöre in die Neue Welt. Außerdem sind ja Mom und Pop und überhaupt meine ganze Familie hier.“ Sie streichelte das Fellchen des Professors, der sich das wohlig gefallen ließ.
    „Mein Vater“, sagte Delia, „ist auch in Amerika.“
    „Stimmt. Fragt sich bloß, wo.“ Linda brachte den Schaukelstuhl zum Stillstand, beugte sich vor. „Schätzchen, du bildest dir doch nicht im Ernst ein, dass du ihn irgendwo findest? Das wäre genau das Gleiche, als wolltest du eine verlorene Stecknadel im Heuhaufen wiederfinden.“
    „Aber ich bin ihm doch schon auf der Spur! Bill …“
    Linda fiel ihr ins Wort: „… hat dir ganz sicher einen Bären aufgebunden! Na, wirklich, der hat sich doch recht merkwürdig aufgeführt. Du würdest ihm keine Sekunde glauben, wenn du ihm nicht unbedingt glauben wolltest.“
    Delia seufzte. „Vielleicht hast du recht.“
    „Ganz bestimmt sogar!” Linda sprang auf. Der Mops, der darauf nicht gefasst gewesen war, rollte zu Boden und zog sich tief beleidigt unter die Rosenholzkommode zurück.
    Linda streckte Delia die Hand hin. „Komm! Laufen wir rasch zu Pop! Er muss doch wissen, dass du nicht weiter ins Innere des Landes reisen willst, sondern …“
    Delia unterbrach sie. „Nicht so rasch“, sagte sie. „Bitte!“
    Linda lächelte schuldbewusst. „Sei mir nicht böse, Delia, Darling, ich bin heute wirklich ganz durcheinander. Was fällt mir bloß ein? Heute früh warst du noch fast eine Indianerin, und jetzt auf einmal ist alles so anders geworden. Du bist befreit. Klar, dass du dich erst mal daran gewöhnen musst.“
    Niemals zuvor war Delia so sehr uneins mit sich selbst gewesen. Sie hatte plötzlich überhaupt keine Lust mehr zu erzählen oder gar eine Entscheidung über ihre Zukunft zu treffen.
    So war sie ganz erleichtert, als Linda ihr einen Spaziergang vorschlug. Sie setzte das Schutenhütchen auf, das Linda ihr gab — wie lange war es her, dass sie so etwas zuletzt getragen hatte! —, band die große Schleife unter dem Kinn, zog die langen Handschuhe über, die über die Ellbogen hinauf bis zu den Puffärmeln reichten.
    Linda knotete ein Samtband in die rosa Schleife, die der Professor um den Hals trug, nahm ihren Sonnenschirm und drückte Delia den von ihrer Mutter in die Hand, ein wunderbares, ganz zerbrechliches Gebilde aus zarten Spitzen und Seide. Zum Schluss betrachteten sich die beiden Mädchen noch gegenseitig und im Spiegel — man hätte

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