Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
ein heißes Fußbad; dann wollte ich wieder gehen. Da erhob sich die Gestalt der Alten, die bisher am unteren Ende des Lagers gekauert hatte.
»Herr,« sagte sie, »ich habe Dich für einen Hekim gehalten. Verzeihe, daß ich Dir Lohn versprach!«
»Mein Lohn ist die Freude, Dir Dein Enkelkind erhalten zu dürfen.«
»Gott hat Deine Hand gesegnet, Emir. Er ist mächtig in dem Schwachen und barmherzig in dem Starken. Wie lange wird die Kranke noch leidend sein?«
»Einige Tage sind genug, um ihre gegenwärtige Schwäche zu überwinden.«
»Emir, ich lebe, aber nicht in mir, sondern in diesem Kinde. Ich bin gestorben seit langen, langen Jahren; aber ich stand wieder auf in Der, welche ich bewahrt sehen möchte vor jedem Flecken des Leibes und der Seele. Du hast nicht ihr allein, sondern auch mir das Leben erhalten, und Du weißt nicht, wie gut dies ist für Viele, die Du weder kennst noch jemals gesehen hast. Du wirst wiederkommen?«
»Ja, morgen.«
»So brauche ich Dir heute weiter nichts zu sagen.«
Sie wandte sich ab und setzte sich wieder an ihren früheren Platz. Sie sprach so dunkel und war selbst für ihre Verwandten ein Räthsel. Ich hätte mir Zeit genug wünschen mögen, dieses Räthsel zu lösen. Ich sollte essen und trinken, ehe ich das Haus verließ, aber ich kam eben von dem Mahle her und hatte auch bei dem Mutesselim ein solches zu erwarten; daher mußte ich abschlagen.
Als ich zu dem Commandanten kam, waren alle seine Beamten und auch die Offiziere der Besatzung bereits um ihn versammelt. Es gab also große Soirée. Ich erhielt den Ehrenplatz an seiner Seite. Wir befanden uns in einem größeren Zimmer, welches einem kleinen Saale glich; es wäre Raum genug zur freien Bewegung gewesen, aber ein Jeder saß still an seinem Platze, rauchte seine Pfeife, trank den herumgereichten Kaffee und flüsterte leise mit seinem Nachbar. Wenn aber der Mutesselim ein lautes Wort sagte, so neigten sie lauschend die Häupter, wie vor einem mächtigen Herrscher.
Auch meine Unterredung mit ihm wurde leise geführt. Nach einigen Weitschweifigkeiten sagte er:
»Ich habe schon gehört, daß Du heute ein Mädchen heiltest, welches vom Teufel besessen war. Mein Hekim hat ihn hineinfahren sehen; er verlangte, daß ich Dich fortschicken soll, weil Du ein Zauberer bist.«
»Dein Hekim ist ein Thor, Mutesselim! Das Mädchen hatte eine giftige Frucht gegessen, und ich gab ihr ein Mittel, durch welches das Gift unwirksam gemacht wurde. Von dem Teufel oder von einem Geiste war keine Rede.«
»So bist Du ein Hekim?«
»Nein. Du weißt ja, wer und was ich bin! Aber im Westen von hier, weit über Stambul hinaus, da, wo ich geboren bin, hat Jedermann mehr Kenntnisse über die Krankheiten als Dein Hekim, der den Teufel durch eine todte Fliege vertreiben wollte.«
Das war rücksichtslos und wohl auch ein wenig muthig gesprochen; aber es konnte diesen Leuten gar nicht schaden, wenn einmal Einer kam, der es wagte, an ihrer Selbstherrlichkeit zu rütteln.
Der Mutesselim that, als hätte er meine scharfe Antwort nicht gehört, und erkundigte sich weiter:
»So kennst Du alle Krankheiten?«
»Alle!« antwortete ich sehr entschieden.
»Und kannst auch alle Tränke machen?«
»Alle!«
»Gibt es auch Tränke, die ein guter Moslem nicht trinken darf?«
»Ja.«
»Welche sind es?«
»Die Paksitz, welche aus solchen Dingen bereitet werden, deren Genuß der Prophet verboten hat, zum Beispiel Schweinefett und Wein.«
»Wein ist aber auch eine Medizin?«
»Ja, eine sehr wichtige.«
»Wann wird sie getrunken?«
»Bei gewissen Krankheiten des Blut- und Nervensystems, sowie auch der Verdauung als Stärkungs- oder Erregungsmittel.«
Wieder stockte die Unterhaltung. Die Anwesenden begannen wieder leise unter einander zu flüstern, und nach einer Weile wandte sich der Mutesselim auch ebenso leise an mich:
»Effendi, ich bin krank, sehr krank!«
»Ah, ist es möglich! Allah gebe Dir Deine Gesundheit zurück!«
»Er wird es vielleicht thun, denn ich bin ein guter Moslem und ein treuer, frommer Anhänger des Propheten.«
»An welcher Krankheit leidest Du?«
»Ich habe bereits viele Ärzte gefragt; sie sagen alle, daß ich leide an gewissen Krankheiten des Blut- und Nervensystemes, sowie auch der Verdauung.«
Ich konnte mich kaum beherrschen, ihm nicht geradezu in das Gesicht zu lachen. Darum also diese eigenthümliche Einleitung, die sich um den Rand herum bewegt hatte, wie ›die Katze um den heißen Brei‹. Jedenfalls lief die
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