Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
und auch kein Klettertuch, wie man es beim Ernten der Datteln in Anwendung bringt. Siehst Du das Loch an dem Stamme der Eiche, dort grad über dem Aste?«
»Ja, Sihdi.«
»Klettere einmal hinauf und siehe Dir es an! Du mußt hier an der Pinie empor und dann den Eichenast entlang.«
Er versuchte es, und siehe da, es ging recht leidlich.
»Effendi, das ist ja ein Kiosk,« meinte er, als er unten wieder anlangte. »Den habt Ihr wohl jetzt gebaut?«
»Ja. Weißt Du, wo das Fort von Amadijah liegt?«
»Hier links hinauf.«
»So höre, was ich Dir sage! Ich glaube heute Abend Amad el Ghandur aus dem Gefängnisse holen zu können. Er muß noch während der Nacht aus der Stadt gebracht werden, und das sollst Du thun.«
»Herr, die Wachen werden uns sehen!«
»Nein. Es gibt eine Stelle, an welcher die Mauer so beschädigt ist, daß Ihr sehr leicht unbemerkt in das Freie gelangen könnt. Ich werde Dir diese Stelle bei unserer Rückkehr zeigen. Nun aber handelt es sich darum, daß Ihr trotz der Nacht hier diesen Platz nicht verfehlt, denn das Loch da oben soll dem Haddedihn zum Verstecke dienen, bis wir ihn von hier abholen. Darum gehest Du von hier aus links hinauf, um den Weg, den Ihr heute Abend zu nehmen habt, richtig kennen zu lernen, und kehrst dann zu uns zurück. Präge Dir das Terrain gut ein. Wenn er sich in Sicherheit befindet, hast Du dafür zu sorgen, ungesehen wieder in unsere Wohnung zu gelangen; denn Niemand darf wissen, daß Einer von uns die Stadt verlassen hat.«
»Sihdi, ich danke Dir!«
»Wofür?«
»Dafür, daß Du mir erlaubst, wieder einmal auch selbst etwas zu thun; denn seit langer Zeit habe ich zusehen müssen.«
Er ging, und ich kehrte zu Lindsay zurück, der lang ausgestreckt im Moose lag und gen Himmel blickte.
»Prachtvoll in Kurdistan! Fehlt nur an Ruinen!« sagte er.
»Ruinen gibt es hier genug, wenn auch keine tausendjährigen wie am Tigris. Vielleicht sind wir gezwungen, Gegenden aufzusuchen, in denen Ihr Euch von dem Vorhandensein von Ruinen überzeugen könnt. Aus den Thälern Kurdistan’s ist der Qualm brennender Dörfer und der Geruch von Strömen vergossenen Blutes zum Himmel gestiegen. Wir befinden uns in einem Lande, in welchem Leben, Freiheit und Eigenthum mehr gefährdet sind, als in jedem anderen. Wünschen wir, daß wir uns nicht aus eigener Erfahrung davon überzeugen müssen!«
»Will mich aber davon überzeugen, Sir! Will Abenteuer haben! Möchte kämpfen, boxen, schießen! Werde bezahlen.«
»Dazu gibt es vielleicht auch ohne Bezahlung Gelegenheit, Sir; denn gleich hinter Amadijah hört das Gebiet der Türken auf, und es beginnen diejenigen Länder, welche von Kurden bewohnt werden, die der Pforte nur dem Namen nach unterworfen oder tributpflichtig sind. Dort gewähren uns unsere Pässe nicht die mindeste Sicherheit; ja, es kann sehr leicht der Fall sein, daß wir feindselig behandelt werden, grad deßhalb, weil wir die Empfehlung der Türken und der Consuln besitzen.«
»Dann nicht vorzeigen!«
»Allerdings. Diese halbwilden gewaltthätigen Horden macht man sich am besten geneigt, wenn man sich ihrer Gastfreundschaft mit Vertrauen überläßt. Ein Araber kann noch Hintergedanken haben, wenn er einen Fremden in sein Zelt aufnimmt; ein Kurde aber nie. Und sollte dies ja einmal der Fall sein, und sollte es keine andere Möglichkeit der Rettung geben, so begibt man sich in den Schutz der Frauen; dann ist man sicher geborgen.«
»Well, werde mich beschützen lassen von den Frauen! Prachtvoll! Sehr guter Gedanke, Master!«
Nach vielleicht einer Stunde kehrte Halef zurück. Er versicherte, das Versteck nun selbst bei Nacht ohne Irrung auffinden zu können, sobald es ihm nur erst gelungen sei, aus der Stadt zu kommen. Der Zweck unseres Spazierrittes war somit erreicht, und wir kehrten nach Amadijah zurück. Dort richtete ich es so ein, daß wir an der beschädigten Mauerstelle vorüberkamen.
»Das ist der Ort, den ich meine, Halef. Wenn Du nachher ausgehest, so magst Du diese Bresche einmal genau untersuchen, aber so, daß es nicht auffällt.«
»Das werde ich baldigst thun müssen, Sihdi,« antwortete er; »denn es wird sehr bald Abend werden.«
Der Tag war, als wir unsere Wohnung erreichten, allerdings schon weit vorgeschritten. Ich bekam keine Zeit, mich von dem Ritte auszuruhen, denn Selim Agha empfing mich an der Thüre:
»Hamdullillah, Allah sei Dank, daß Du endlich kommst!« meinte er. »Ich habe auf Dich mit Schmerzen gewartet.«
»Warum?«
»Der
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