Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
lernen.«
»Du bist bei dem Bey von Gumri gewesen!« fuhr er fort. »Wie kommst Du zu diesem?«
»Ich hatte ihm Grüße von einem Verwandten auszurichten.«
»So bist Du nicht ein Vasall von ihm?«
»Nein. Ich bin ein Fremdling in diesem Lande.«
»Ein Christ, wie ich hörte?«
»Du hast die Wahrheit gehört.«
»Aber ein Christ, der an die falsche Lehre glaubt!«
»Ich bin überzeugt, daß sie die wahre ist.«
»Du bist kein Missionar?«
»Nein. Bist Du ein Priester?« frug ich dagegen.
»Ich wollte einst ein solcher werden,« antwortete er.
»Wann wird der Melek hier ankommen?«
»Noch heute; die Stunde aber ist unbestimmt.«
»Ich soll bis dahin in Deinem Hause bleiben?«
Er nickte, und ich frug weiter:
»Aber als was?«
»Als das, was Du bist, als Gefangener.«
»Und wer wird mich festhalten?«
»Meine Leute und Dein Wort.«
»Deine Leute können mich nicht halten, und mein Versprechen habe ich bereits erfüllt. Ich sagte, daß ich ihnen folgen würde; das habe ich gethan.«
Er schien zu überlegen.
»Du magst Recht haben. So sollst Du also nicht mein Gefangener, sondern mein Gast sein.«
Er klatschte in die Hände. Ein altes Weib erschien.
»Bringe Kaffee, Pfeifen und Matten!« gebot er Ihr.
Die Matten wurden zuerst gebracht, und wir mußten zu beiden Seiten des Mannes Platz nehmen, der ein Priester genannt wurde, weil er einst gewillt gewesen war, ein solcher zu werden. Er wurde jetzt freundlicher, und als die Pfeifen mit dem Tabak gebracht wurden, hatte er sogar die Herablassung, sie uns selbst anzubrennen. Ich erkundigte mich bei ihm nach den Verhältnissen der nestorianischen Chaldäer und erfuhr allerdings Dinge, bei deren Erzählung Einem sich die Haare sträuben konnten.
Die Krieger hatten sich um das Haus gelagert; es waren, wie ich erfuhr, arme, einfache Ackerbauer, also unangesehene Leute nach den Begriffen der Nomaden und anderen Bevölkerungsklassen, welche das Handwerk des Krieges treiben. Sie kannten den Gebrauch der Waffen nicht, und einige unbewachte Andeutungen unseres Wirthes brachten mich zu der Überzeugung, daß von zehn ihrer Luntenflinten kaum fünf losgegangen wären.
»Nun aber werdet Ihr ermüdet sein,« meinte er, als auch der Kaffee eingenommen war. »Erlaubt, daß ich Euch ein Zimmer anweise, welches das Eurige sein soll!«
Er erhob sich und öffnete eine Thüre. Scheinbar aus Höflichkeit stellte er sich zur Seite, um uns zuerst eintreten zu lassen; kaum aber hatten wir die Schwelle überschritten, so warf er die Thüre zu und schob den Riegel vor.
»Ah! Was ist das?« frug Lindsay.
»Heimtücke. Was weiter!«
»Habt Euch übertölpeln lassen!«
»Nein. Ich ahnte so etwas.«
»Warum tratet Ihr ein, wenn Ihr es ahntet?«
»Weil ich mich ausruhen wollte. Mir thun die Glieder noch weh von dem Sturze.«
»Das konnten wir wo anders thun und nicht hier als Gefangene!«
»Wir sind nicht gefangen. Seht Euch diese Thüre an, die ich mir bereits während der Unterhaltung betrachtet habe. Einige Fußtritte oder ein guter Kolbenstoß reichen hin, sie zu zertrümmern.«
»Wollen das sofort thun!«
»Wir befinden uns in keiner Gefahr.«
»Wollt Ihr warten, bis noch mehr Leute kommen? Jetzt fällt es uns nicht schwer, aufzusitzen und fortzureiten.«
»Mich reizt dieses Abenteuer. Wir haben jetzt die beste Gelegenheit, die Verhältnisse dieser christlichen Sektirer kennen zu lernen.«
»Bin nicht sehr neugierig darauf; die Freiheit ist mir lieber!«
Da hörte ich meinen Hund zornig knurren und dann in jener bestimmten Weise anschlagen, die mir sagte, daß er sich gegen einen Angreifer zu wehren habe. Die einzige Fensteröffnung, welche es in dem Raume gab, und die so klein war, daß man den Kopf nicht hindurchstecken konnte, befand sich an der andern Seite. Ich konnte also nicht sehen, was es gab. Da hörte ich ein kurzes Bellen und bald darauf einen Schrei. Unter diesen Umständen war hier oben meines Bleibens nicht.
»Kommt, Sir!«
Ich stemmte mich mit der Achsel gegen die Thüre – sie gab nur wenig nach.
»Nehmt den Kolben!« meinte Lindsay, indem er zugleich seine eigene Büchse ergriff.
Einige Schläge genügten, die Thüre zu zertrümmern. In dem Raume, wo wir vorhin gesessen hatten, standen vier Männer, welche jedenfalls die Aufgabe hatten, uns zu bewachen; denn sie traten uns mit erhobenem Gewehr entgegen, hatten aber gar nicht das Aussehen, als ob sie Ernst machen würden.
»Halt! Bleibt hier!« meinte der Eine sehr freundlich.
»Thut dies
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