Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Viele?«
»Du hast recht, Sihdi. Und ich darf Dich ja auch nicht verlassen, weil Du krank bist.«
»Wir gehen alle Beide.«
»Und die Todten?«
»Wir legen sie auf die Pferde und gehen neben her.«
»Dazu bist Du zu schwach, Herr. Sieh, wie Dich das Aufgraben des leichten Sandes angestrengt hat! Deine Beine zittern.«
»Sie werden zittern und dennoch aushalten. Komm!«
Es war eine traurige und zugleich eine schwierige Arbeit, den beiden Pferden ihre Last zu geben. Da wir nicht genug Riemen und Schnüre hatten, mußte ich meinen Lasso zerschneiden, welcher mich so lange Zeit auf allen Reisen begleitet hatte. Aber ich that es ohne Zaudern, denn es war ja ziemlich gewiß, daß die Hand, welche ihn bisher geschwungen hatte, in wenigen Stunden erstarren werde. Wir befestigten die Todten so, daß je zwei an den Seiten eines Pferdes zu hängen kamen; dann ergriffen wir die Zügel und schritten dem uns gesteckten Ziele zu.
Nie werde ich diesen Weg vergessen. Hätte ich den treuen Halef nicht bei mir gehabt, so wäre ich zehnmal liegen geblieben. Trotz aller Anstrengung knickte ich bei jedem Schritt in die Kniee; in kurzen Abständen mußte ich halten, um nicht neue Kräfte – denn das war unmöglich – sondern neue Energie zu sammeln. Aus den zwei Reitstunden wurden mehrere. Die Sonne sank. Statt das Pferd zu führen, hing ich ihm am Zügel, und so wurde ich endlich, von Halef unterstützt, halb von dem Rappen fortgezogen und halb von dem Hadschi weitergeschoben.
Wir waren auch aus dem Grunde aufgehalten worden, weil wir vorsichtig jede Begegnung vermeiden mußten, und langten endlich – endlich spät Abends – an dem Thurme an. Hätte ich jemals ahnen können, daß ich an diesem Orte meinen vielbewegten Lauf beschließen werde!
Wir hielten an derselben Stelle, an welcher wir am vorigen Abend gelagert hatten. Von dem Engländer war keine Spur zu finden. Der Zettel fehlte; jedenfalls hatte er ihn gelesen und war auf meine Weisung sofort nach dem Kanale aufgebrochen. Wir luden die Todten ab, hobbelten die Pferde langund legten uns nieder, denn heute war nichts Anderes mehr möglich.
»Ich weiß, daß wir uns wiedersehen,« hatte Benda gesagt. Ja, ich war es allerdings, der sie wiedersah! Trotzdem ich sterbensmüde war und nur mit Anstrengung einen klaren Gedanken zu fassen vermochte, begann ich, mir selbst die bittersten Vorwürfe zu machen. Ich hätte meine Meinung kräftiger vertheidigen und mich der Unvorsichtigkeit Hassan Ardschir-Mirza’s nöthigenfalls mit Gewalt entgegenstellen sollen. Hatte mir der Krankheitsanfall Kraft gelassen zu dem stürmischen Ritt und zu dem traurigen Heimwege, so wäre es mir auch möglich gewesen, diesen Mirza Selim Agha unschädlich zu machen. Ich kann mich diesem Vorwurfe noch heute nicht ganz entziehen, obgleich seitdem eine geraume Zeit vergangen ist.
Ich verbrachte eine schlimme Nacht. Bei fast normaler Hautwärme hatte ich einen schnellen, zusammengezogenen und ungleichen Puls; das Athmen ging kurz und hastig; die Zunge wurde heiß und trocken, und meine Phantasie wurde von ängstlichen Bildern und Vorstellungen eingenommen, die mich so quälten, daß ich öfters Halef rief, um mich zu überzeugen, was Einbildung und was Wirklichkeit sei. Oft auch weckte mich aus diesen Phantastereien ein Schmerz, den ich in den Achselhöhlen, am Halse und im Nacken fühlte. In Folge dieses Zustandes, den ich nur deßhalb so ausführlich beschreibe, weil ein Pestfall bei uns eine so große Seltenheit ist, war ich bei Anbruch des Tages eher wach als Halef und bemerkte nun, daß sich bei mir Beulen unter den Achseln und am Halse, ein Karfunkel im Nacken und rothe Petechien-Gruppen auf der Brust und an den innern Armflächen entwickelten. Jetzt hielt ich mein Schicksal für besiegelt und weckte den Hadschi.
Dieser erschrak über mein Aussehen. Ich bat ihn um Wasser und schickte ihn dann nach dem Kanale, um den Engländer aufzusuchen und herbeizuholen. Es vergingen drei Stunden, für mich drei Ewigkeiten, und als er dann zurückkehrte, kam er allein. Er hatte lange gesucht und nichts gefunden als eine Hacke, in deren Nähe viele Hufspuren in der Weise zu sehen gewesen waren, daß er auf einen dort stattgefundenen Kampf schließen mußte. Er brachte die Hacke mit; sie gehörte zu den Werkzeugen, welche Lindsay mitgebracht hatte. War dieser überfallen worden? Aber es war keine Spur einer Verwundung oder Tödtung zu sehen gewesen! Ich konnte in dieser Angelegenheit nicht das Mindeste
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