Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Kraftlosigkeit ihres Willens ist es, welche sie festhält unten auf dem tiefen Grunde.
Freilich wollen wir diese Behauptung nicht für alle, sondern können sie nur für viele, vielleicht für die meisten Fälle aufstellen, und wir wissen recht wohl, daß sie gerade von Denen immer und stets angefochten wird, welche sich von ihr getroffen fühlen. Es ist ja so sehr bedauerlich, daß sich gerade der Willenlose für einen willensstarken und energischen Mann hält und aus dem einfachen Grunde, weil er keine Selbsterkenntniß besitzt, auch nicht geheilt werden kann. Wie mancher Ehemann, wie mancher »Herr« glaubt die Herrschaft über die Seinen zu besitzen und wird, ohne daß er es weiß und merkt, von einer klugen Frau oder einem schlauen Diener geleitet und regiert.
Leider kann der Wille ebenso auf das Schlimme als auf das Gute gerichtet sein; aber der consequente Sünder, und wär’s der schwärzeste Bösewicht, ist weniger gefährlich als der Leichtsinnige, welcher wie ein Rohr zwischen dem Guten und dem Bösen hin und her bewegt wird. Der Erstere läßt sich für jeden einzelnen Fall berechnen und beurtheilen, während der Wankelmüthige völlig unberechenbar ist. Der Bösewicht kann sich bessern, und sein fester Wille wird ihn am Guten festhalten; der Leichtsinnige aber wird stets zurückfallen in die alte Bahn, mag er sich auch aufraffen so viele Male es nur immer sei.
O, möchte doch Jedem ein Wille gegeben sein, der treu und fest am Guten hält und mit Kraft und Lust nach dem immer Besseren, immer Edleren, immer Höheren strebt; möchte doch Keiner vergessen, daß des Menschen Wille sein Himmelreich ist, aber auch seine Hölle sein kann!
»Ehrlich währt am Längsten«
»Der Mensch ist ein politisches Thier« sagt der alte griechische Geschichtsschreiber Herodot. Damit will er sagen, daß der Einzelne nicht für sich allein bestehen könne, sondern nur durch die Verbindung mit Anderen die verschiedenen Zwecke seines Daseins erreichen und glücklich werden könne.
Eine der ersten Grundbedingungen dieses Zusammenlebens ist jedenfalls die gegenseitige Ehrlichkeit. Nur durch sie kann das Resultat des vereinten Wirkens ein günstiges sein und zwar ebenso wohl im Großen wie auch im Kleinen. Und doch wie sehr und viel wird in dieser Beziehung gefehlt!
Die grobe Sünde wird so in die Augen fallend bestraft und die Warnungen vor ihr ertönen so allerwärts, daß wir an diesem Orte wohl schweigen können; aber auch der beste Mensch steht so sehr unter dem Einflusse menschlicher Fehlerhaftigkeit, daß er öfterer als er denkt, Handlungen vornimmt, welche trotz ihrer anscheinenden Harmlosigkeit im Grunde doch nichts sind als Unehrlichkeiten.
Derjenige, welcher es ernst mit sich und seinem Handeln nimmt, wird bei der Beobachtung Dessen, was er denkt und thut, bald zur beschämenden Selbsterkenntniß gelangen; aber dem Oberflächlichen und Gedankenlosen entgehen die leichteren Ausflüsse seiner kränklichen Moralität, während er an Anderen gewöhnlich sehr bald das sittliche Ungeziefer bemerkt.
Der falsche Spieler, der Dieb, der Betrüger, sie erregen unsere Abscheu und wir gestatten ihnen keine Annäherung; aber wir freuen uns eines kleinen Vortheiles über den Anderen; wir benutzen die Gunst des Zufalles, den wir vielleicht selbst herbeigeführt haben; wir halten das Wort, das zweifelhafte Lächeln, das verneinende Achselzucken nicht zurück, welches die Ehre des Nächsten schädigt; wir zählen Sünden, unter welchen sein Glück leidet, zu den noblen Passionen und begehen eine Menge Fehler, welche wir nicht für solche halten, weil sie dem lieben eigenen Ich schmeicheln und von der Gewohnheit geheiligt sind. Und rechnen wir hierzu die tausenderlei großen und kleinen Unterlassungssünden, durch welche nicht nur Fremde, sondern auch Nahestehende von uns geschädigt werden, so werden wir bald zu der Einsicht gelangen, daß wir viel, viel auf uns zu achten haben.
Es gehört eben zur Ehrlichkeit mehr als das bloße sich Hüten vor dem groben Eigenthumsvergehen, und wer gegen Andere ehrlich sein will, muß es zuerst gegen sich selbst sein. Die meisten verfehlten Lebensbahnen sind mit Selbsttäuschung und Selbstbetrug begonnen worden, und wer sich selbst belügt, wie kann der treu sein gegen Andere?
Darum laßt uns merken auf all unser Thun und unausgesetzt arbeiten an unserer sittlichen Vervollkommnung. Es liegt eine tiefe Wahrheit in dem Worte
»Sei ehrlich gegen Dich,
So bist Du auch ehrlich gegen
Weitere Kostenlose Bücher