Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
einzugestehen. Meine stille und fleißige Hauptarbeit war, vor allen Dingen Ordnung in meinem armen Kopf zu schaffen, und das ging leider nicht so schnell, wie ich es wünschte. Das, was ich da aufbaute, fiel immer wieder ein. Es war wie ein mühsames Graben durch einen Schneehaufen hindurch, dessen Massen immer wieder nachrutschen. Und dabei gab es einen Gegensatz, der sich absolut nicht beseitigen lassen wollte. Nämlich den Gegensatz zwischen meiner außerordentlich fruchtbaren Phantasie und der Trockenheit und absoluten Poesielosigkeit des hiesigen Unterrichtes. Ich war damals noch viel zu jung, als daß ich eingesehen hätte, woher diese Trockenheit kam. Man lehrte nämlich weniger das, was zu lernen war, als vielmehr die Art und Weise, in der man zu lernen hatte. Man lehrte uns das Lernen. Hatten wir das begriffen, so war das Fernere leicht. Man gab uns lauter Knochen; daher die geradezu schmerzende Trockenheit des Unterrichtes. Aber aus diesen Knochen fügte man die Skelette der einzelnen Wissenschaften zusammen, deren Fleisch dann später hinzuzufügen war. Bei mir aber hatte sich bisher grad das Umgekehrte ereignet: Ich hatte mir zwar eine Unmasse von Fleisch zusammengeschleppt, aber keinen einzigen tragenden, stützenden Knochen dazu. In meinem Wissen fehlte das feste Gerippe. Ich war in Beziehung auf das, was ich geistig besaß, eine Qualle, die weder innerlich noch äußerlich einen Halt besaß und darum auch keinen Ort, an dem sie sich daheim zu fühlen vermochte. Und das Schlimmste hierbei war: das knochenlose Fleisch dieser Qualle war nicht gesund, sondern krank, schwer krank; es war von den Schundromanen des Kegelhausbesitzers vergiftet. Das begann ich jetzt erst eigentlich einzusehen und fühlte mich umso unglücklicher dabei, als ich mit keinem Menschen davon sprechen konnte, ohne mich dadurch bloßzustellen. Grad die Trockenheit und, ich muß wohl sagen, die Seelenlosigkeit dieses Seminarunterrichtes war es, welche mich zu der Erkenntnis meiner Vergiftung führte. Ich fand für die Skelette, die uns geboten wurden, damit wir sie beleben möchten, kein gesundes Fleisch in mir. Alles, was ich zusammenfügte und was ich mir innerlich aufzubauen versuchte, wurde formlos, wurde häßlich, wurde unwahr und ungesetzlich. Ich begann, Angst vor mir zu bekommen, und arbeitete unausgesetzt an meiner seelischen Gestalt herum, mich innerlich zu säubern, zu reinigen, zu ordnen und zu heben, ohne fremde Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen, die es ja auch gar nicht gab. Ich hätte mich wohl gern einem unserer Lehrer anvertraut, aber die waren ja alle so erhaben, so kalt, so unnahbar, und vor allen Dingen, das fühlte ich heraus, keiner von ihnen hätte mich verstanden; sie waren keine Psychologen. Sie hätten mich befremdet angesehen und einfach stehen lassen.
Hierzu kam der angeborene, unwiderstehliche Drang nach geistiger Betätigung. Ich lernte sehr leicht und hatte demzufolge viel Zeit übrig. So dichtete ich im Stillen; ja, ich komponierte. Die paar Pfennige, die ich erübrigte, wurden in Schreibpapier angelegt. Aber was ich schrieb, das sollte keine Schülerarbeit werden, sondern etwas Brauchbares, etwas wirklich Gutes. Und was schrieb ich da? Ganz selbstverständlich eine Indianergeschichte! Wozu? Ganz selbstverständlich, um gedruckt zu werden! Von wem? Ganz selbstverständlich von der »Gartenlaube«, die vor einigen Jahren gegründet worden war, aber schon von Jedermann gelesen wurde. Da war ich sechzehn Jahre alt. Ich schickte das Manuskript ein. Als sich eine ganze Woche lang nichts hierauf ereignete, bat ich um Antwort. Es kam keine. Darum schrieb ich nach weiteren vierzehn Tagen in einem strengeren Tone, und nach weiteren zwei Wochen verlangte ich mein Manuskript zurück, um es an eine andere Redaktion zu senden. Es kam. Dazu ein Brief von Ernst Keil selbst geschrieben, vier große Quartseiten lang. Ich war fern davon, dies so zu schätzen, wie es zu schätzen war. Er kanzelte mich zunächst ganz tüchtig herunter, so daß ich mich wirklich aufrichtig schämte, denn er zählte mir höchst gewissenhaft alle Missetaten auf, die ich, natürlich ohne es zu ahnen, in der Erzählung begangen hatte. Gegen den Schluß hin milderten sich die Vorwürfe, und am Ende reichte er mir, dem dummen Jungen, vergnügt die Hand und sagte mir, daß er nicht übermäßig entsetzt sein werde, wenn sich nach vier oder fünf Jahren wieder eine Indianergeschichte von mir bei ihm einstellen sollte. Er hat keine bekommen;
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