Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Münchmeyer, Dr. Gerlach in Niederlößnitz bei Dresden. Dieser Roman würde für die Beleuchtung der gegenwärtigen Gesetzgebung ein höchst wichtiger sein und auch über andere Verhältnisse, gesellschaftliche, geschäftliche, psychologische, überraschende Streiflichter werfen. Es würde da viel Schmutz, sehr viel Schmutz zu sehen sein, der nichts weniger als appetitlich ist, und so will ich, da ich ihn auch hier zu erwähnen und zu zeigen habe, mich bemühen, so schnell wie möglich über ihn hinwegzukommen.
VIII. Meine Prozesse .
Jörgensen, den meine Leser wahrscheinlich kennen, sagt in seiner Parabel »Der Schatten« zum Dichter: »Sie wissen nicht, was Sie tun, wenn Sie hier sitzen und schreiben und Ihre Seele von der Macht des Weines und der Nacht anschwillt. Sie wissen nicht, wie viele Menschenschicksale Sie durch eine einzige Zeile aus dem weißen Papier umbilden, erschaffen, verändern. Sie wissen nicht, wie manches Menschenglück Sie töten, wie manches Todesurteil Sie unterschreiben, hier, in Ihrer stillen Einsamkeit, bei der friedlichen Lampe, zwischen den Blumengläsern und der Burgunderflasche. Bedenken Sie, daß wir Andern das leben, was Ihr Dichter schreibt. Wir sind, wie Ihr uns bildet. Die Jugend dieses Reiches wiederholt wie ein Schatten Eure Dichtung. Wir sind keusch, wenn Ihr es seid; wir sind unsittlich, wenn Ihr es wollt. Die jungen Männer glauben je nach Eurem Glauben oder Eurer Verleugnung. Die jungen Mädchen sind züchtig oder leichtfertig, wie es die Weiber sind, die Ihr verherrlicht.«
Jörgensen hat hier vollständig Recht. Seine Ansicht ist ganz die meinige. Ja, ich gehe sogar noch weit über die seinige hinaus. Der Dichter und Schriftsteller hat einen weit größern, entweder schaffenden oder zerstörenden, reinigenden oder beschmutzenden Einfluß, als die meisten Menschen ahnen. Wenn es wahr ist, was die neuere Psychologie behauptet, nämlich »Nicht Einzelwesen, Drama ist der Mensch«, so darf man die Tätigkeit des Schriftstellers unter Umständen sogar eine schöpferische, anstatt nur eine schaffende nennen. Weil ich mir dessen wohlbewußt bin, bin ich mir auch der ungeheuern Verantwortung bewußt, welche auf uns Schreibenden ruht, sobald wir zur Feder greifen. So oft ich dieses Letztere tue, tue ich es in der aufrichtigen Absicht, als Schaffender nur Gutes, niemals aber Böses zu schaffen. Man kann sich also denken, wie erstaunt ich war, als ich erfuhr, daß ich im Verlage von H. G. Münchmeyer »abgrundtief unsittliche« Bücher geschrieben haben solle. Der Ausdruck »abgrundtief unsittlich« ist von Cardauns, dessen Eigenheit es bekanntlich ist, sich als Gegner in den übertriebensten Verschärfungen zu ergehen. Bei ihm ist dann Alles nicht nur erwiesen, sondern »zur Evidenz erwiesen«, nicht ausgesonnen, sondern »raffiniert ausgesonnen«, nicht entstellt, sondern »bis zur Unkenntlichkeit entstellt«. Darum genügte bei diesen Münchmeyerschen Romanen, weil sie angeblich von mir waren, das einfache Wort »unsittlich« nicht, sondern es war ganz selbstverständlich, daß sie gleich »abgrundtief unsittlich« sein mußten.
Die erste Spur von diesen meinen »Unsittlichkeiten« tauchte drüben in den Vereinigten Staaten auf. Kommerzienrat Pustet, welcher da drüben Filialen besitzt, schrieb mir von diesem Gerücht und wünschte, daß ich mich darüber äußere. Das tat ich. Ich antwortete ihm, daß ich von Unsittlichkeiten nichts wisse und die Sache untersuchen lassen werde, wenn es sein müsse, sogar gerichtlich. Das Resultat werde ich ihm dann mitteilen. Damit war für ihn die Sache abgemacht. Er war ein Ehrenmann, ein Mann von Geist und Herz, dem es niemals eingefallen wäre, durch Hintertüren zu verkehren. Wir hatten einander gern. Auf ihn fällt ganz gewiß auch nicht die geringste Spur von Schuld an der unbeschreiblich schmutzigen und widerlich leidenschaftlichen Hetze gegen mich. Weil das Gerücht aus Amerika kam, hatte ich zunächst drüben zu recherchieren. Das erforderte lange Zeit, und es war mir unmöglich, etwas Bestimmtes zu erfahren. Ich wußte nur, daß sich das Gerücht auf meine Münchmeyerschen Romane bezog, doch fand ich Niemand, der imstande war, mir die Kapitel oder Stellen zu bezeichnen, in denen die Unsittlichkeit lag. Und auf ein bloßes, vages Gerücht hin alle fünf Romane, also ungefähr achthundert Druckbogen nach Dingen, die ich gar nicht kannte, mühsam durchzuforschen, dazu hatte ich keine überflüssige Zeit, und das war mir auch gar
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