Karparthianer 03 Der Fürst der Nacht
Kapitel 1
Joshua, es ist wirklich ein sehr wichtiges Geschäfts-essen«, ermahnte Alexandria Houton ihren kleinen Bruder eindringlich, während sie ihren verbeulten VW auf dem großen Parkplatz hinter dem Restaurant abstellte. Dann ließ sie kurz die Hand auf Joshuas Lockenkopf ruhen und blickte in seine glänzenden Augen. Schon wurde sie von der Liebe zu ihrem Bruder durchflutet, die alle Ängste und Enttäuschungen verdrängte. Alexandria lächelte. »Du bist schon so erwachsen, Josh. Ich weiß auch nicht, warum ich mich wiederhole. Aber ich bekomme heute meine einzige Chance auf so einen Traumjob. Du weißt doch, wie dringend wir diesen Job brauchen, oder?«
»Klar, Alex. Keine Sorge. Ich bleibe hinter dem Restaurant und spiele mit meinem Laster.« Josh lächelte seine Schwester an, die ihn aufgezogen hatte, seit ihre Eltern kurz vor Joshs zweitem Geburtstag bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren.
»Es tut mir Leid, dass dein Babysitter abgesagt hat. Sie ist. . .
krank.«
»Nein, sie ist betrunken, Alex«, verbesserte Joshua sie ernst, während er seinen Rucksack und den Spielzeuglaster zusammenpackte.
»Wo hast du das denn schon wieder gehört?«, fragte Alexandria, entsetzt darüber, dass ein Sechsjähriger schon wusste, was Trunkenheit war. Sie stieg aus dem Auto und strich sorgfältig ihr Kostüm glatt - es war das einzige gute, das sie besaß. Es hatte ein ganzes Monatsgehalt verschlugen, doch Alexandria betrachtete es als notwendige Investition. Sie sah leider viel jünger aus als dreiund-5
zwanzig und brauchte die Eleganz und Ernsthaftigkeit, die ihr das teure Kostüm verlieh.
Joshua hielt sein Lieblingsspielzeug im Arm, einen abgenutzten Kipplaster. »Ich habe gehört, wie du sie nach Hause geschickt hast, weil sie zu betrunken war, um auf mich aufzupassen.«
Alexandria hatte ihn extra in sein Zimmer geschickt. Doch statt zu gehorchen, hatte er gelauscht. Josh wusste, dass man dadurch viele interessante Dinge aufschnappen konnte, die seine Schwester nur für Erwachsene geeignet hielt. Gegen ihren Willen lächelte Alexandria, als sie Joshs spitzbübisches Gesicht sah. »Du hast eben große Ohren, stimmt's ?«
Josh sah betreten zu Boden.
»Schon gut, Kumpel. Wir schaffen es allein sowieso viel besser«, sagte Alexandria mit mehr Optimismus, als sie empfand. Sie lebte mit Josh in einer kleinen Bruchbude, in einem Apartmenthaus, das vor allem von Prostituierten, Alkoholikern und Junkies bewohnt wurde. Alexandria sorgte sich um Joshs Zukunft. Alles hing nun von dieser Besprechung ab.
Thomas Ivan war der geniale Kopf, der hinter den fantasievollen und sehr beliebten Video- und Computerspielen steckte, in denen es um Vampire und Dämonen ging. Er suchte einen neuen Grafik-Designer. Ivan war auf der Titelseite jeder wichtigen Zeitschrift abgebildet gewesen, und er war immerhin von Alexandrias Probeentwürfen so beeindruckt gewesen, dass er sie um ein Treffen gebeten hatte. Alexandria wusste, dass sie genügend Talent besaß, Thomas Ivan durfte sie nur nicht nach ihrem jugendlichen Aussehen beurteilen. Schließlich bewarben sich auch viele wesentlich erfahrenere Designer um die Stelle.
Alexandria zerrte die Mappe mit ihren Entwürfen aus dem Auto und nahm Joshuas Hand. »Es kann eine Weile dauern. Du hast doch etwas zu essen im Rucksack?«
Er nickte, sodass einige seidige Locken auf seiner Stirn tanzten.
Alexandria umfasste seine Hand fester. Joshua bedeutete ihr alles. Er 6
war ihre Familie und der einzige Grund dafür, dass sie so hart darum kämpfte, in eine bessere Gegend zu ziehen und ihren Lebensstandard zu verbessern. Joshua war ein aufgeweckter, sensibler und mitfühlender Junge, und Alexandria wollte dafür sorgen, dass er alle Chancen bekam, die das Leben zu bieten hatte.
Sie führte Josh zu dem kleinen baumbestandenen Garten hinter dem Restaurant. Ein schmaler Pfad führte zu den Klippen, die über das Meer ragten. »Geh nicht zu den Klippen hinaus, Joshua. Sie sind gefährlich. Die Felsen könnten unter deinen Füßen wegbrechen, oder du könntest ausrutschen und hinunterfallen.«
»Ich weiß, das hast du mir schon gesagt.« In Joshs Stimme lag ein ungeduldiger Unterton. »Ich kenne die Regeln, Alex.«
»Henry ist heute Abend hier. Er wird auf dich aufpassen.« Henry war ein alter, obdachloser Mann aus der Gegend, der oft im Garten hinter dem Restaurant übernachtete. Alexandria gab ihm häufig etwas zu essen oder
Kleingeld, und sie behandelte ihn mit Respekt. Zum Dank ließ
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