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Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder

Titel: Der Kreis der Dämmerung 02 - Der Wahrheitsfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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    Schattenbotschaft
     
     
     
    Das Meer war zu einem lebendigen Wesen geworden. Zu einer riesigen Kreatur, die furchtbare Schmerzen litt. Wie sonst hätte man ihr stetes Sichaufbäumen erklären können? Doch keine Schaumkämme konnte David im hellen Mondlicht erkennen, keine Brecher, die gierigen Klauen gleich nach dem kleinen Fischerboot schlugen, vielmehr glich die See einer endlosen Wasserwüste, einer höchst ungestümen allerdings: Unablässig hoben und senkten sich ihre gewaltigen Dünen wie in Geburtswehen. Welches Unheil würde der sich windende Leib wohl gebären?
    Davids Hände umklammerten die Reling am Bug der Taifun. Mal blickte er in schier bodenlose Täler hinab, dann wieder zu hohen Gipfeln empor. Kapitän Wangs Schiff war nicht mehr als ein kleiner Käfer, der sich auf der glänzenden schwarzgrauen Haut des Seeungetüms festklammerte, sich mit ihr hob und senkte, in einem Moment emporgerissen wurde, um gleich darauf wieder in die Tiefe zu stürzen. Niemand außer David schien diesen wahnsinnigen Ritt zu verfolgen. Abgesehen von ihm war das Oberdeck des Fischkutters menschenleer. Und dennoch spürte er eine bedrohliche Gegenwart. Jemand – oder etwas – war da draußen.
    Mit gerecktem Hals, breitbeinig um festen Stand bemüht, suchte David die nähere Umgebung ab. Die nächtlichen Himmelslichter spiegelten sich auf der bewegten See. Doch keiner dieser flimmernden Punkte ließ sich in der gewaltigen Dünung fixieren. Hin und wieder schienen silbrige Gestalten über die Meeresoberfläche zu tanzen, aber die unbeständigen Feenleiber waren nur Trugbilder, Wasserschleier, mit denen der Wind sich die Zeit vertrieb. Meist lösten sie sich schon auf, bevor noch ein neuer Wasserberg David die Sicht nahm. Aber dann entdeckte er die Ursache für seine Unruhe.
    Von achtern her näherte sich dem Schiff eine dunkle Gestalt. Sie lief tatsächlich über das Wasser wie über festen Grund. Trotz des Seegangs beugte sich David weit über die Reling, um den Weg des Wellenwanderers zu verfolgen. Die Gestalt war in schwarzes Tuch gekleidet. Der wallende Umhang schien sie zu einem dunklen Bruder jener rastlosen Meeresfeen zu machen. Und doch glaubte David die Kopfbedeckung des Schemens zu erkennen: ein Hut mit auffällig breiter Krempe.
    Negromanus! David erschauerte. Es musste Negromanus sein! Kein anderer konnte einen solchen Eiseshauch verströmen. Und niemand bewegte sich so merkwürdig fließend, schwebte förmlich über dem Grund. Unweigerlich kam David ein ähnliches Erlebnis in den Sinn, das er vor beinahe einem Dutzend Jahren gehabt hatte. Der Schemen war damals durch die Morgennebel an der Westfront bei Ypres geglitten. Einige Stunden später fiel Davids Freund, Nicolas J. Seymour.
    Die erneute Begegnung mit seinem unheimlichen Gegner ließ ihn erstarren. Negromanus kam näher. Ohne Eile, aber zielstrebig. David starrte auf die schwarze Gestalt, ihren wallenden Umhang, den Armstumpf – und konnte sich nicht bewegen.
    Der Schemen wanderte durch ein Tal, das sich wie ein Wadi durch die Wasserwüste zog. Und die Taifun schien in dieser Rinne festzustecken, wie gestrandet. Während sich die Dünen ringsum weiter hoben und senkten, herrschte hier eine fast gespenstische Stille. Das Schiff war Negromanus hilflos ausgeliefert. Entsetzen befiel David. Er hatte nicht einmal seine Schwerter dabei.
    Noch immer starr vor Schrecken sah er, wie der Schemen das Boot einholte. Sollte das wirklich das Ende sein? David musste an seine Eltern denken, an die vielen Freunde, die mit grässlich verkrümmtem Rücken tot aufgefunden worden waren – alle Opfer dieses in jeder Hinsicht unmenschlichen Wesens. Würde der Urian nun auch ihn niederstrecken?
    Atemlos verfolgte David jeden von Negromanus’ Schritten längsseits des Schiffes. Das fahle Antlitz des Schemen hatte schon seinem Vater das Fürchten gelehrt – jetzt blickte es nur stur geradeaus. War dieses merkwürdige Verhalten vielleicht Teil von Negromanus’ grausamem Spiel?
    Mit Schaudern erinnerte sich David an die phosphoreszierenden Augen des Schemens, in die er damals, auf Blair Castle, gesehen hatte. War es vielleicht dieser Blick, der die Menschen tötete? Bald würde Negromanus gleichauf mit dem Bug der Taifun sein. Und dann? Wenn David jetzt starb, konnte niemand mehr den Kreis der Dämmerung aufhalten. Der Geheimbund würde seinen Jahrhundertplan in die Tat umsetzen und die Menschheit schon bald in den Untergang treiben. Alles in David bäumte sich gegen

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