Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
diese fast schon erreicht hatten, kam ihnen ein gelblicher, mittelgroßer Hund nachgesetzt und schoß ängstlich, weil er sich vergessen glaubte, dem kleinen Niedlich durch die Beine hindurch, so daß dieser nur mit Mühe seine Balance hielt. Es war Kratzer, Stappenbecks Spitz, der sich die ganze Zeit über an allen Tischen, wo Kinder saßen, mit Kringelfangen beschäftigt hatte, ein häßliches Tier, ebenso storr und widerhaarig wie sein Herr. Jetzt sprang er an diesem in die Höhe, winselte, bellte und jagte, als er draußen im Freien war, kreuz und quer über das Plateau des Windmühlenberges hin, ersichtlich froh, nach dem Gesellschaftszwang der letzten Stunden sich wieder austoben zu können.
Die vier Bürger hielten sich auf dem ziemlich breiten Fußwege, den die zahlreichen Gäste des Wieseckeschen Lokals nach dem Prenzlauer Tore hin in dem dichtliegenden Schnee gestapft hatten. Rabe, trotzdem es kalt war, bewahrte seine distinguierte Haltung; die drei anderen aber, die sich wenig um ihr Aussehen kümmerten, hatten die Mützen ins Gesicht gezogen und sich bis an die Ohren hinauf in ihre dicken gestrickten Schals gewickelt. Schnökel, der bei Ostwind nicht sprechen konnte, blieb etwas zurück; Niedlich hielt Linie mit den beiden andern, aber nur mühsam, da er ein Trippler war.
Das Gespräch wollte nicht gleich in Gang kommen; endlich begann Rabe, der mehr ausdauernd als schnell von Gedanken war: »Ich glaube doch, Stappenbeck, du hast ihn zu despektierlich behandelt. Ich hab’s mir nämlich überlegt. Erstens ist er ein alter Mann, zweitens ist er ein Soldat, und drittens hat er die Schlacht bei Torgau gewonnen.«
»Das hat er«, fiel Niedlich ein, der bestimmt ausgesprochenen Sätzen eines andern, besonders aber, wenn sie von Rabe kamen, gern zustimmte.
Stappenbeck blieb stehen und pfiff seinem Hund. Kratzer kam in großen Sätzen heran, blaffte ein paarmal und jagte dann wieder, als wäre der böse Feind hinter ihm her, in wildem Zickzack über den in Schnee liegenden Windmühlenberg hin. »Seht«, sagte Stappenbeck, »so hat Klemm die Schlacht bei Torgau gewonnen. Immer die Beine in die Hand. Er ist gelaufen, daß es eine Freude war.«
»Aber er soll ja doch gesammelt haben«, nahm Rabe wieder das Wort. »Ich entsinne mich der Sache ganz genau. ›Wie heißt Er?‹ frug ihn der König, als er ihn die zerstreuten Grenadiere wieder in Reih’ und Glied bringen sah. ›Klemm, Euer Majestät.‹ – ›Na, das ist brav, mein lieber Klemm; ich werd’ es Ihm nicht vergessen.‹ Und dann ritt der König weiter. Ich hab’ es ihn selber erzählen hören.«
»Wen? Den König?«
»Nein, Klemm.«
Stappenbeck lachte. »Rabe, du hast bloß einen Fehler. Du glaubst alles. Ich kenn’ diesen Patron besser. Er ist nicht einer von den Grenadiers, die bei Torgau gesammelt haben , sondern einer von denen, die gesammelt worden sind . Und das mit des Alten Fritzen eigenhändigem Krückstock. ›Rackers, wollt Ihr denn ewig leben?‹ An diesem allergnädigsten Zuruf hat unser Klemm seinen ehrlichen Anteil.«
»Du kannst ihn nicht leiden, Stappenbeck, und auf wen du mal eine Pike hast –«
»Den pik’ ich, aber diesen Feldwebel Klemm noch lange nicht genug. Er ist ein schlechter Kerl durch un durch. Eine Memme, ein Großmaul und ein Schnurrer.«
»Ein Schnurrer?« fragte Rabe.
»Ja, ein Schnurrer ist er«, fiel hier Niedlich ein, der rasch erkannt hatte, daß sich die Partie schließlich doch wieder zu Stappenbecks Gunsten entscheiden werde. »Ein Schnurrer ist er. Im Sommer sitzt er auf den Gütern fest, bei den Bredows und den Rohrs, die sind gutmütig; das ist denn so seine Weidezeit; un wenn so Anfang Dezember geschlachtet wird, da kommt er schon mit langen Neujahrswünschen, bloß damit er sich wieder in Erinnerung bringt. Er kriegt auch Almosen. Un was für welche! Ich hab’ ihn selber die Dukaten putzen sehen.«
»Na, na«, sagte Rabe, »wenn er ein hilfsbedürftiger Mann ist –«
»Ein Geizhals ist er un ein Schuft dazu«, nahm Stappenbeck, immer mehr sich ereifernd, wieder das Wort und zog den dicken Schal, der ihn am Sprechen hinderte, etwas tiefer unter das Kinn. »Ich weiß, was ich sage; er wohnt bei meiner Frau Bruder im Hause; die kennen ihn; er ist ein Mantelträger, ein Spion.«
»Na, na«, wiederholte Rabe.
»Und wenn er kein Spion ist, was ich ihm nicht beweisen kann, wenn ich es auch fest und sicher glaube, so ist er doch eine undankbare Kreatur. Was Niedlich erzählt hat, wie er sich
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