Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
eine Geschichte gibt, haben sich Umwälzungen, auch die segensreichsten, durch einen Wort- oder Treuebruch eingeleitet. Ich erspare Ihnen und mir die Aufzählung. Wenn es Ausnahmen gibt, so sind es ihrer nicht viele, oder kluge Vorsorglichkeiten haben das Odium zu eskamotieren gewußt.«
Der alte Ladalinski atmete auf, während Tubal fortfuhr: »Wer vor große, jenseits des Alltäglichen liegende Aufgaben gestellt wird, der soll sich ihnen nicht entziehen, am wenigsten sich zum Knecht landläufiger Begriffe von Ruf und gutem Namen machen. Er soll nicht kleinmütig vor Verantwortung zurückschrecken, denn darauf läuft diese ganze Ehrensorge hinaus. Mit Gott und sich selber hat er sich zu vernehmen. Er soll sich zum Opfer bringen können, sich , Leben, Ehre. Geschieht es in rechtem Geiste, so wird er die Ehre, die er einsetzt, doppelt wiedergewinnen. Das ist der ewige Widerstreit der Pflichten, zwischen deren Wert es abzuwägen gilt. Eine Treue kann die andere ausschließen. Wo die Bewährung der einen durch die Verletzung der anderen erkauft werden muß, da wird freilich immer ein bitterer Beigeschmack bleiben; aber gerade der, der diesen Beigeschmack am bittersten empfindet, wird aus den reinsten Beweggründen heraus gehandelt haben.«
»Und es ist General York, an den Sie dabei denken?« fragte Bninski mit einem Anfluge von Spott.
»Gerade an ihn dacht’ ich. Kurz, Graf, Sie dürfen ihn verurteilen, nicht verdächtigen. Was seine Tat gilt, wird sich zeigen; seine Ehre aber, wie sie meines Schutzes nicht bedarf, sollte gegen jeden Zweifel oder Angriff gesichert sein.«
Es schien, daß Bninski antworten wollte, aber die Musik begann wieder, und die jetzt halb zurückgeschlagene Portiere ließ erkennen, daß die Paare zu einem Contre zusammentraten. Kathinka, mit dem jungen Grafen Brühl engagiert, mahnte zum Abbruch des Gesprächs, das ohnehin andere Wege gegangen und von längerer Dauer gewesen war, als der Geheimrat bei Beginn desselben vorausgesehen hatte. Manches war ihm peinlich gewesen; nur Tubals gute Haltung hatte ihn mit diesem Peinlichen wieder versöhnt.
Ehe der Contre zu Ende war, wußte die ganze Gesellschaft von dem großen Ereignis. Die Wirkung war um vieles geringer, als erwartet werden durfte. Die Herren versicherten, »daß sie nicht überrascht seien, daß sich vielmehr nur ein Unausbleibliches vollzogen habe«. Die Damen dachten der Mehrzahl nach wie Kathinka und waren nur klug genug, mit einem gleichmütigen »Eh bien« zurückzuhalten. Aber wie gering die Wirkung sein mochte, sie war doch groß genug, eine gewisse Zerstreutheit hervorzurufen und dadurch die Gesellschaft zu stören. Schon um zwölf fuhren die ersten Wagen vor, und ehe eine halbe Stunde um war, hatten sich die Säle geleert.
Bummcke, Jürgaß, Lewin, zu denen sich auch Baron Geertz und der alle andern beinahe um eine Haupteslänge überragende Major von Haacke gesellt hatten, gingen zusammen die Treppe hinunter. Unten trennte sich Lewin von ihnen; die vier andern Herren aber hatten denselben Weg und schritten auf die Lange Brücke zu. Als sie die Mitte derselben erreicht hatten, sahen sie zu dem Reiterstandbild des Großen Kurfürsten auf, das in seiner oberen Hälfte vom Marstall und alten Postgebäude her, in deren Fenstern noch Licht war, beleuchtet wurde. Der prächtige Kopf schien zu lächeln.
»Seht«, sagte Jürgaß, »er sieht nicht aus, als ob es mit uns zu Ende ginge.«
Sechstes Kapitel
Im Kolleg
Lewin schritt die Königsstraße nach links hinunter, um seine Wohnung auf nächstem Wege zu erreichen. Ein leiser, aber eiskalter Wind wehte vom Alexanderplatze her und schnitt ihm ins Gesicht; er zog den Mantelkragen in die Höh’ und grüßte den Wächter, der sich Schutzes halber unter das Portal des Rathauses gestellt hatte.
»Scharfer Wind, Ehrecke.«
»Ja, junger Herr; ‘s is Bernauscher, der geht immer bis auf die Knochen.«
Damit wünschten sie sich eine gute Nacht, und Lewin hörte nur noch das Knarren der Laternen, die sich in ihren über die Straße gespannten Ketten langsam im Winde hin- und herbewegten. Er passierte den Hohen Steinweg, bog in die Klosterstraße ein und sah hier, immer sich rechts auf dem Bürgersteige haltend, mit halbem Auge nach der andern Seite hinüber, wo er seit langem jedes Haus kannte. Bei Bäcker Lehweß war Licht, und der Geruch von frischgebackenem Brot zog aus dem offenstehenden Fenster der im Souterrain befindlichen Backstube quer über den Fahrdamm hin bis zu
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