Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
hin den andern zu melden. Dabei senkte sich das Gewölk immer tiefer, und jeder empfand es wie Schwüle, trotzdem eine kalte Luft strich.
So kamen sie bis Reitwein, wo noch überall Licht war. Viele von den Dörflern, auch hier meistens Frauen, waren bis auf den Fahrweg hinausgetreten, um ihre in der Kolonne befindlichen Angehörigen zu begrüßen, andere blieben in den Türen stehen und wehten und winkten mit weißen Tüchern, was in dem Dunkel, das herrschte, einen unheimlichen Eindruck machte.
Hinter dem Dorfe teilte sich der Weg. Als die Kolonnenspitze den Gabelpunkt erreicht hatte, schwenkten die Barnimschen Bataillone, ganz wie es Seidentopf vermutet hatte, nach links hin in die Niederung ab, während die andere Hälfte des Zuges auf dem Plateau hin weitermarschierte. Bei dieser zweiten Hälfte befand sich, außer dem Kommandierenden und seinem Adjutanten, auch unser Landsturmbataillon Lebus.
An der Spitze desselben, den vordersten Rotten um fünfzig Schritte voraus, ritten Drosselstein und Vitzewitz. Sie kannten Weg und Steg und hatten auf Bammes ausdrücklichen Wunsch die Führung während des Marsches übernommen. Beiden war nicht plauderhaft zu Sinn; endlich aber, als die letzten Reitweinschen Häuser schon in Büchsenschußentfernung hinter ihnen lagen, begann Drosselstein: »Ein Glück, daß wir Hirschfeldt an der Seite des Generals haben. Er ist kaltblütig und kennt den Krieg.«
»Ja«, bestätigte Vitzewitz. »Und ein Glück um so mehr, als der Alte sich selber mißtraut. Er war eitel genug, das Kommando, das wir ihm anboten und in Anbetracht aller Umstände wohl oder übel anbieten mußten , auch wirklich anzunehmen; jetzt aber ist er unsicher, weil er sich seiner Aufgabe nicht gewachsen fühlt. Am liebsten würd’ er es jedem einzelnen sagen, und ich rechne es ihm hoch an, daß er darauf verzichtet und sich wenigstens den Leuten gegenüber zum Schweigen zwingt. Er ist kein Mann der ruhigen Überlegung und nur waghalsig für seine Person. Die Verantwortlichkeit drückt ihn. Diese Stunden sind übrigens die schlimmsten. Ist er erst in Aktion, wird er sich selber wiederfinden.«
»Und diese Aktion, wie wird sie ablaufen?« fragte der Graf.
»Ich hoffe, gut; es wäre denn…«
Drosselstein sah ihn fragend an.
»Es wäre denn«, wiederholte Vitzewitz, »daß uns die Russen im Stich ließen.«
»Ich habe nicht nur Tschernitscheffs Zusicherung, ich habe sie, wie Sie wissen, gestern zum zweiten Male empfangen. Er ist kein Mann der Eifersüchteleien.«
»Vielleicht nicht«, antwortete Vitzewitz. »Aber ich kenne die Russen, sie sind launenhaft und lassen es an sich kommen. Dabei haben sie jene glatten gesellschaftlichen Formen, die die Sache nur noch schlimmer machen. Sie versprechen alles und wissen im voraus, daß sie das Versprochene nicht halten werden, wenigstens fühlen sie sich nicht in ihrem Gewissen gebunden. Es fehlt ihnen zweierlei: Ehrgefühl und Mitgefühl. Und Tschernitscheff ist wie die anderen. Es ist möglich, daß er kommt, aber es ist andererseits nicht un möglich, daß er nicht kommt. Und das ist es, was mir Furcht und Sorge macht.«
Drosselstein suchte zu widerlegen, aber seine Worte verrieten deutlich, daß er im Grunde seines Herzens Berndts Befürchtungen teilte.
In der nachrückenden Kolonne war nach wie vor alles still. Schulze Kniehase führte den ersten Zug, Lewin den zweiten, Tubal den dritten. Zwischen dem zweiten und dritten Zuge ging Hanne Bogun. Bamme, seiner hohen Fuchsstute mißtrauend, hatte auf ein Reservepferd bestanden, und der Scharwenkasche Hütejunge war ausersehen worden, den Shetländer am Zaume nachzuführen. In der ganzen Kolonne war er der einzige, dem es wirklich wohl ums Herze war. Eitel und seit dem Tage, wo die »Suche« stattgefunden hatte, von einem immer wachsenden Dünkel gequält, war er auch jetzt wieder begierig, sich hervorzutun, und zweifelte keinen Augenblick, daß sich die Gelegenheit dazu finden würde. Schon sein Aufzug deutete darauf hin; er trug eine Friesjacke und Leinwandhose wie gewöhnlich, aber über die Jacke war ein breiter Ledergurt geschnallt, in den er einen Schlitz gemacht und ein langes, in der Mitte ausgeschliffenes Messer hineingesteckt hatte. Der ganze Junge das Bild eines frechen Tunichtgut.
Tubal, den die Stille bedrückte, trat ein paar Schritte vor und sagte zu dem Einarm: »Hanne, wie heißt das nächste Dorf?«
»Podelzig.«
»Eine halbe Meile, nicht wahr?«
»Joa; awers de de Voß ‘meten
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