Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
preußischen Kugeln noch wie durchsiebt.
Das war vor siebzehn Jahren. Heute fehlten die Kugelspuren, und doch eine eroberte Stadt! Die Neustädter Wache war von 24er Landwehr besetzt und eine mächtige schwarzweiße Fahne hing vom Dach bis zu den Treppenstufen nieder. Ein leiser Wind bauschte sie auf, wie ein Segel. Nun, Glück auf und gute Fahrt!
Wir nahmen Quartier im Hotel Bellevue. Oberst v. Mertens (der Befestiger Düppel-Alsens) war mit zu Tisch; an der Wand uns gegenüber befanden sich drei Konsolen und die Büsten König Johann’s und seiner beiden Prinzen sahen auf die bunte Reihe preußischer Uniformen nieder.
Erster Ausflug natürlich auf die Brühl’sche Terrasse. Ich fand hier Alles schwärzer, rußiger geworden, nichts von der Heiterkeit und Eleganz, die sonst hier wohl ihre Stätte hatten. Aber die Aussicht war schöner denn je. Nach beiden Seiten hin hat sie gewonnen, nach rechts hin durch die drei großen weißschimmernden Schloßbauten, die den Namen der Albrechts-Burgen führen, nach links hin durch die schöne Eisenbahnbrücke, die – ähnlich wie die Glienicker Brücke bei Potsdam – eine überaus malerische Linie durch den Strom zieht.
Das Dresdener Leben scheint sich seit den vierziger Jahren immer mehr an das Elbufer gezogen zu haben. Das Hotel Bellevue ist entstanden, das bescheidene »italienische Dörfchen« ist zu einer großen Anlage geworden, die Bildergallerie – und das ist die Hauptsache – hat ihren Platz auf dem Neumarkt aufgegeben und sich in einem neu und prächtig errichteten »Museum«, das die beiden alten Zwinger-Flügel verbindet, niedergelassen. Die preußische Herrschaft ist inzwischennoch einen Schritt weiter gegangen und hat den weiten unregelmäßigen Platz, der zwischen Schloß, Theater und Zwinger liegt, zu einem Parade- und Exerzierplatz umgeschaffen. Erst ein Märkisches (Ruppin), dann ein Thüringisches (Erfurt) Landwehr-Bataillon schwenkte in Zügen und Halbzügen auf und ab, wobei die preußischen Trommeln von einem neu-kreirten Musik-Corps nothdürftige Unterstützung empfingen. Von Publikum hatte sich wenig eingefunden. Vielleicht war der Sonnenbrand Schuld. Andere sagen, die Dresdener grollten, daß man ihnen nicht einmal eine volle Regiments-Kapelle zurückgelassen habe.
Wir nahmen einen Wagen und fuhren in den großen Garten, dann rechts hinüber in den Plauenschen Grund. Die Befestigungen, die den großen Garten dicht umzirken, mögen dem sächsischen Auge eine Pein sein, aber nirgends hat der Garten selbst unter diesen Anlagen gelitten. An einzelnen Punkten stiegen wir aus und gesellten uns zu den kaffeetrinkenden Gruppen. Ein Gespräch vermieden wir. Was uns immer wieder undwieder auffiel, war eine gewisse Kärglichkeit der äußeren Erscheinung. Ich wählte absichtlich diesen mildesten Ausdruck, weil ich ein tiefes Mitgefühl mit den Sachsen habe und weil ich die ohnehin Schwergekränkten nicht auch noch durch Bemerkungen über ihr Aeußerliches (worin die Menschen immer am empfindlichsten sind) kränken möchte. Aber es läßt sich die Sache nicht ganz verschweigen. Man begegnet – nicht in einzelnen Exemplaren, sondern gruppenweise – völlig aztekenhaften Erscheinungen und es drängt sich Einem mehr und mehr auf, daß diese stagnirenden Verhältnisse durchaus eines starken Luftstroms von außen her, einer Regeneration bedürfen. Es ist wahr, daß diese Dinge, wie richtig die unmittelbare Beobachtung sein mag, dennoch oft täuschen. In einzelnen Schweizer-Kantonen hat man der kleinen, hageren, blutlosen Bevölkerung gegenüber, auch den Eindruck des Degenerirten und trotz alledem sind es – Schweizer. Auch die Sachsen, in so vielen Kämpfen bewährt, dürfen eben jetzt wieder auf die Tage von Gitschin und Königgrätz hinweisen, wo sie musterhaft alle soldatischen Tugenden geübt, aber es ist eine alte Wahrnehmung aus Römertagen her, daß das, was sich bis zuletzt hält, bis zuletzt die Kraft vergangener Zeiten repräsentirt, das Heer ist. Eine Armee kann noch Nerv haben, wenn das Volk als Ganzes längst um diesen Nerv gekommen ist.
Wir kehrten in die Stadt zurück. Die sonst so entgegenkommende Bevölkerung – die übrigens auch jetzt an ihrer traditionellen Höflichkeit festhält – bewährte überall eine sehr reservirte Haltung. Ich muß das loben und ich begreife meine Landsleute nicht, die beständig über Abwehr, kalte Glätte oder gar über Tücke klagen. Es will mir durchaus erscheinen, daß die Beklagten in dieser
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