Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
zu suchen. Sein Umfang und sein Teint ließen die Kur allerdings als dringlich erscheinen. Das Gespräch drehte sich natürlich um Krieg, man sprach von Podoll und Podkost, von Sobotka und Gitschin, und während derMeinungsaustausch immer heftiger lärmte, dachte Niemand daran, daß wir inzwischen die Felder passirten, auf denen (1426) die große Hussitenschlacht geschlagen wurde, die vielen Tausend »Meißnern« das Leben kostete. Das war ein Tag, so wichtig, so folgenreich, fast wie der Königgrätzer Tag von heute. Und doch vergessen!
Wir traten alsbald in den Kreis eines anderen Schlachtfeldes ein – Lowositz . Lowositz ist Stationsort und die Bahnhofsleute deuteten uns an, daß es »wohl eine halbe Stunde dauern könne«. Dies war eine versteckte Aufforderung zu einer Abendmahlzeit. Die Lust dazu war auch da, aber die Ausführung hatte ihre Schwierigkeiten. Lowositz liegt innerhalb des Theresienstädter Festungsrayons und nur die Eisenbahn selbst, wie eine Etappenstraße durch fremdes Gebiet hindurch, ist von Seiten der Theresienstädter (österreichischen) Commandantur dem preußischen Verkehr freigegeben. Wir waren also in unseren Waggons und allenfalls auch auf dem Perron in völliger Sicherheit; das dreißig Schritt entfernte Gasthaus aber, aus dessen rothem Dach eben eine stille Rauchwolke aufstieg und unsere Phantasie angenehm anregte, lag bereits jenseits der »Demarkations-Linie« und war feindliches Gebiet, auf dem wir gefangen genommen werden konnten. Die Schaffner suchten uns über diesen Fall, der ihnen kaum als vage Möglichkeit erscheinen wollte, zu beruhigen und nicht ganz ohne Erfolg. Die bewaffnete Macht eines Neben-Coupés, entweder weil sie kühner empfand, oder weil sie hungriger war, gab diesen Stimmen nach und überschritt die Linie. Es waren ihrer drei, die es wagten, ein Garde-Ulan, ein 35er und ein Blücherscher Husar. Sie nahmen in einer großblätterigen Pfeifenkraut-Laube Platz, die einen Vorbau des Gasthauses bildete, und die beiden Lichter,die alsbald auf den weißgedeckten Tisch gestellt wurden, warfen ihren vollen Schein auf das Roth des Blücherschen Husaren. Die Speisen wurden aufgetragen und wir sahen von unseren hohen Coupé-Plätzen aus der Scene wie einem Schauspiel zu. Auch erwartungsvoll wie einem Schauspiel. Denn auf dem Perron, im Taktschritt auf und nieder, schritten zwei österreichische Offiziere in ihren knappen weißen Röcken, plauderten, wirbelten elegant den Dampf der Cigarre und sahen von Zeit zu Zeit nach der Gruppe in der Laube hinüber. Wir erwarteten in jedem Augenblick eine dramatische Verwicklung, vielleicht eine Katastrophe, aber ehe die halbe Stunde um war, schritten die feindlichen Parteien grüßend an einander vorüber und die Unsrigen sahen sich unbehindert, in bester Mahlzeitslaune ihre Plätze wieder einzunehmen. Der Zug setzte seine Reise fort.
Auch uns sollte inzwischen eine Souper-Stunde schlagen, freilich unter minder spannenden Verhältnissen. Es mochte zehn Uhr sein und wir waren bereits über Raudnitz hinaus, als unser bis dahin nur halbgefülltes Coupé weitere Einquartierung erhielt: drei junge Offiziere vom 14. Regiment, bereits in vergnüglichster Stimmung, gingen nach Prag, um ihre Laune daselbst noch zu verbessern. Zwei wurden bei ihrem Vornamen, der dritte nach seiner Charge und zwar in Nachahmung des österreichischen Accents »Herr Oper-Leutnant« (Premier) genannt. Bald waren wir in vertraulichstem Gespräch, wozu die absolute Dunkelheit, die ein gegenseitiges Erkennen unmöglich machte, daß Ihrige beitragen mochte. Wir waren, behufs Legitimation, lediglich auf den Klang unserer Stimmen angewiesen, das heißt auf das größere oder geringere Vertrauen, das dieselben einzuflößen vermochten. Mittheilungen aus der Hauptstadt, Wallnersche Couplets und Anekdoten warenhöchlichst willkommen, am willkommensten erwies sich aber alsbald die Mittheilung, daß wir die glücklich vorsorglichen Besitzer einer Niquet’schen Schlagwurst, ja sogar eines »Cap Constantia« derselben empfehlenswerthen Firma seien. In tiefstem Dunkel machte erst die Schlagwurst, dann der Capwein die Runde, und jeder Toast, jeder herzlichste Wunsch wurde von einem noch herzlicheren Zug begleitet.
Im Dunkeln hatte der Wein seinen Rundgang gemacht und im Dunkeln schliefen wir ein. Als wir an die Moldau kamen, weckte mich ein matter Lichtschimmer; die Sterne traten hier und dort aus dem Nebel und ein Dämmerschein lag auf den Feldern. Ich konnte mühsam den
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