Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Zimmer zu verlassen zögerte. »Bleib nur«, sagte Berndt, der das Zögern des Alten wohl verstand, »du willst auch wissen, wie es steht. Du liebst ihn auch… Ach, wer nicht?« Und dabei strich er sich leis und verstohlen über Stirn und Augen. Dann erst trat er auf den alten Gerichtsdiener zu und sagte: »Nun, Rysselmann, was bringt Ihr?«
»‘n Brief vom Herrn Justizrat.«
»Gutes drin?«
Der Alte schwieg. Er konnte nicht ja sagen, und das Nein wollte ihm nicht über die Lippen.
Berndt wog den Brief hin und her, den er sich zu öffnen scheute, denn jetzt mußt’ es sich entscheiden. Er musterte den Alten einmal, zweimal und fand zuletzt, daß er alles in allem nicht aussah wie einer, der eine Todesnachricht bringe. »Ich will den Brief lesen – aber allein… Und dann noch eins, Rysselmann; wißt Ihr…«
»Ja, gnädiger Herr, eins weiß ich.«
»Und?«
»Der junge Herr lebt.«
Des alten Vitzewitz Händen entfiel der Brief, und seine Lippen flogen. Er konnte nicht sprechen. Als er sich wieder gefaßt hatte, trat er auf Jeetze zu, legte seine Hand auf des alten Dieners Schulter und sagte, während er ihn in freudiger Erregung schüttelte: »Hast du’s gehört, Alter? Er lebt! Und nun sorge mir für Rysselmann. Er hat uns Gutes gebracht, bring ihm wieder Gutes. Nein, bring ihm das Beste. Hier hast du den Schlüssel; unten links, wo der spanische liegt. Hol’ ihm eine Flasche, mein alter Jeetze. Und du sollst mittrinken. Hast du’s gehört? Er lebt! «
Jeetze küßte seinem Herrn die Hand und zitterte und zimperte hin und her. Dann ging er, während Rysselmann ihm folgte. Berndt, als er allein war, öffnete den Brief und überflog ihn. Es war, wie der alte Gerichtsdiener gesagt hatte. Er verließ nun selber das Kabinett, um sich in das Eckzimmer zu den Frauen hinüber zu begeben. Er traf nur Renate, die bang und fragend auf ihn zueilte. »Noch ist Hoffnung, Kind. Und nun rufe die Schorlemmer.« Erst als diese gekommen war, setzten sie sich um den runden Tisch, und Berndt las:
»Hochgeehrter Herr und Freund!
Ich habe die traurige Pflicht, Ihnen anzuzeigen, daß der Kampf dem Feinde zwei Gefangene in die Hände fallen ließ: Ihren Sohn und den Konrektor Othegraven. Ihr Sohn wird im Laufe des Vormittags unter Eskorte nach Küstrin geschafft werden, Konrektor Othegraven wurde bei Tagesanbruch am Lohhof erschossen. Mir liegt nach dieser kurzen, vorgängigen Mitteilung nur noch ob, Ihnen über den Tod dieses Tapferen zu berichten. Ich schlief seit kaum einer Stunde, als ich durch eine französische Ordonnanz geweckt wurde, die mir anzuzeigen kam, daß einer der Gefangenen, der Konrektor Othegraven, mich zu sprechen wünsche. Ich kleidete mich rasch an, und der junge Soldat führte mich nach der alten Nikolaikirche hinüber, an deren Ausgängen französische Doppelposten standen. Innen sah es scharf aus; auf einer Schütte Stroh lagen die Toten; der erste, den ich sah, war Kandidat Grell.
In der Sakristei traf ich Othegraven. Er saß in einem hochlehnigen, alten Chorstuhl, und die Tür stand offen, so daß er den Blick auf die Kanzel frei hatte. Er wies darauf hin und sagte: ›Sehen Sie, Turgany, hier hab’ ich zum ersten Male gepredigt. Mein Text war: ‚Selig sind die Friedfertigen‘. Und dies ist nun das Ende. Das Kriegsgericht hat gesprochen, und binnen hier und einer Stunde ist es mit mir vorbei.‹ Ich nahm seine Hand, und da von Rettung oder Begnadigung keine Rede sein konnte, so fragte ich nach seinem Letzten Willen und ob ihm das Scheiden schwer würde. Er verneinte es und setzte hinzu, daß er einmal gelesen habe, wie das Leben einem Gastmahl gleiche. Jeder habe den Wunsch, auszudauern; aber wer in der Mitte des Mahles abgerufen würde, fühle bald nachher, daß er wenig versäumt habe. Und das sei wahr. Er für seinen Teil wünsche nur erst über die Trommelwirbel und das Augenverbinden weg zu sein; auch mißtraue er den Franzosen und ihrem Schießen. ›Sie tuen alles unordentlich, und den Hofer haben sie massakriert.‹ Er hing diesem Gedanken eine Weile nach und sagte dann, ehe ich noch eine weitere Frage an ihn gerichtet hatte: ›Ich habe niemand; meine kleine Sammlung fällt an Seidentopf, alles andere an das Hospital dieser Kirche. Und nun wollen wir Abschied nehmen, Turgany. Grüßen Sie diese tapfere Stadt, die mir so teuer geworden ist, und sagen Sie jedem, der es hören will, daß ich in der Hoffnung auf Jesum Christum, aber zugleich auch in dem festen Glauben stürbe, mein
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