Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
bez. unsere Vorgesetzten Revue passieren, erst die Ärzte, dann den Inspektor – über dessen Frömmigkeit wir gemeinschaftlich lachten – und verstiegen uns auch wohl zur Oberin, ja bis zu »Konrad von Marburg«. Alles natürlich sehr vorsichtig. Meine Partnerin war außerordentlich fein geschult, und jeder wird an sich selber die Erfahrung gemacht haben, daß der feine Ton andrer auch seiner eignen Sprechweise zugute kommt.
Ohne solche Führung war ich immer ziemlich unvorsichtig.
Drittes Kapitel
Wie mir die bethanischen Tage vergingen
Mein Leben mit den zwei Diakonissinnen war ein Idyll, wie’s nicht schöner gedacht werden konnte: Friede, Freundlichkeit, Freudigkeit. In ruhigen Tagen, soviel muß ich zugestehen, wär’ es mir des Idylls vielleicht zuviel geworden, aber daran war in der Zeit vom Sommer 48 bis Herbst 49 gar nicht zu denken, und was Th. Storm in einem seiner schönsten Gedichte von seinem Kätner auf der schleswig-holsteinischen Heide singt:
Kein Ton der aufgeregten Zeit
Drang noch in seine Einsamkeit
das war so ziemlich das letzte, was von meinem damaligen Leben gesagt werden konnte. Rings um mich her erklang beinah unausgesetzt der »Ton der aufgeregten Zeit«. Wie schon erzählt, gleich am Tage meines Einzugs in Bethanien, bataillierte die Bürgerwehr auf dem Köpnicker Felde, dann stürmte das Volk das Zeughaus, und dazwischen hieß es abwechselnd: »Die Russen kommen« und dann wieder: »Die Polen kommen«. Ersteres war gleichbedeutend mit Hereinbrechen der Barbarei, letzteres mit Etablierung der Freiheit. Dann erschien allerdings Wrangel, und ein paar stillere Monate folgten; aber mit dem Frühjahr war auch der Lärm wieder da: Dresden hatte seinen Maiaufstand, in Paris tobte die Junischlacht, und in Baden unterlag die Sache der Aufständischen erst nach mühsamlichen Kämpfen. Es gab kaum einen in ruhiger Alltäglichkeit verlaufenden Tag, und dies Widerspiel von Lärm da draußen und tiefster Stille um mich her gab meinem bethanischen Leben einen ganz besondren Reiz. Zugleich unternahm ich es bei bestimmter Gelegenheit, zwischen diesen Gegensätzen zu vermitteln oder richtiger Schritte zu tun, als ob diese Gegensätze gar nicht vorhanden wären. Daß ich mich dabei durch Bonsens und Takt ausgezeichnet hätte, kann ich leider nicht sagen. Ich las eines Morgens in einer Zeitung, daß eine »Tagung der äußersten Linken« geplant würde, für die Berlin als Versammlungsort ausersehen sei. Besonders vom Rheinland her, so hieß es weiter, seien für diese Versammlung bereits Anmeldungen eingetroffen, und zwar in so großer Zahl, daß man, behufs gastlicher Unterbringung derselben, um Adressen bäte. Das gefiel mir außerordentlich, und weil ich über ein freies Zimmer verfügte, so schrieb ich nicht bloß, mich ganz allgemein zur Verfügung stellend, an das Komitee, sondern bat mir auch im speziellen Ferdinand Freiligrath als wünschenswertesten Gast aus. Ich erhielt glücklicherweise keine Antwort. Das Komitee war klüger als ich und begriff den Unsinn, einen blutroten Revolutionär – der Freiligrath damals wenigstens war – ganz gemütlich in Bethanien einquartieren zu wollen. Was ich mir dabei gedacht, ist mir noch nachträglich ganz unerfindlich. Alles in allem ein Musterstück unzulässigster Poetennaivität.
Inmitten dieses Treibens war ich auch literarisch tätig, und zwar mit ganz besondrer Lust und Liebe. Was kaum wundernehmen durfte. Denn zum erstenmal in meinem Leben stand mir so was wie volle Muße zur Verfügung; ich brauchte mir die Stunden nicht abzustehlen und war in ungetrübter Stimmung, was fast noch mehr bedeutet als Muße. Mancherlei, was ich bald danach herausgab, ist in jenen bethanischen Tagen entstanden, auch eine meiner bekannteren und vielfach in Anthologien abgedruckten Balladen, die den Titel »Schloß Eger« führt und das Massacre der Wallensteinschen Feldobersten Illo, Terzky und Kinsky schildert. Es ist das einzige meiner Gedichte, das ich in wenigen Minuten aufs Papier geworfen habe, buchstäblich stante pede. Beim Ankleiden überkam es mich plötzlich, und einen Stiefel am Bein, den andern in der linken Hand, sprang ich auf und schrieb das Gedicht in einem Zuge nieder. Habe auch später nichts daran geändert. Als ich es tags darauf im Tunnel vorlas, sagte Friedrich Eggers: »Ja, das ist ganz gut, aber doch eigentlich nur Kulissenmalerei«, wofür ich mich bei ihm bedankte, hinzusetzend, seine halb tadelnde Bemerkung sei durchaus richtig,
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