Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
aber dergleichen müsse auch ganz einfach mit einem großen Pinsel heruntergestrichen werden. Derselben Meinung bin ich auch heute noch.
Über das Leben, das ich all die Zeit über mit Wilms führte, nicht intim, aber doch voll aparter Züge, spräche ich gern, versage mir’s aber und beschränke mich darauf, eine ganz bestimmte Szene zu schildern, an der Wilms teilnahm und die wie manches andere, was ich in voraufgehenden Kapiteln erzählt habe, als ein Beweis dafür gelten mag, wie überall da, wo strenge Ordnungen herrschen, ein gewisser natürlicher Zug in den Menschen lebt, diese Ordnungen zu durchbrechen, nicht aus großer Veranlassung, sondern umgekehrt aus einem kleinen, ganz untergeordneten Hazardiertrieb und ein wenig auch wohl aus der jugendlichen Lust, sich über den Ernst des Lebens zu mokieren.
Es war in den ersten Januartagen 1849, und ich hatte vor, zur Nachfeier meines am Schluß des Jahres stattgehabten Geburtstages eine kleine Gesellschaft zu geben; zwei Tunnel-Freunde waren geladen, außer ihnen aber sollten auch Wilms und der Inspektor und ein Leutnant von Karger, der als Kranker in Bethanien war, an der Festlichkeit teilnehmen. Leutnant von Karger war ein sehr charmanter junger Herr, der sich in einer kalten Manövernacht einen bei schon vorhandener Nervenschwäche nur allzugut gediehenen Kolossalrheumatismus angeeignet hatte und nun bereits monatelang in Wilms’ und der andern Ärzte Behandlung war. Er humpelte ganz vergnüglich im Hause umher, sagte jedem Verbindliches und wurde beinah mehr als Gast wie als Kranker angesehn. Er war aber wirklich krank. Daß er in den Künsten dilettierte, braucht kaum noch versichert zu werden. Was im übrigen meine Festlichkeit anging, so war, neben dem, was ich aus der bethanischen Küche bezog, außerdem noch durch Ankauf von Datteln, Marzipan und Pfannkuchen ausgiebig gesorgt worden. Auf einem Tisch mit Steinplatte stand des weiteren ein Kohlenbecken mit einem Kessel darin, also etwas Samowarartiges. Es handelte sich aber durchaus nicht um Tee, sondern um einen festen Grog, und als dieser endlich hergestellt war, war auch das Eis gebrochen, das bis dahin den freien Gang der Unterhaltung gehindert hatte. Der Inspektor wurde mehr und mehr Mensch, Wilms, eigentlich steif und zugeknöpft, war gar nicht mehr er selbst, und Karger und ich brauchten nicht erst animiert zu werden. Dasselbe galt von den zwei Tunnel-Freunden. Einen Augenblick kam sogar die Frage zur Erwägung, ob nicht vielleicht gesungen werden dürfe. Wir entschieden uns aber dagegen, besser sei besser. Was wir uns übrigens im Gesang versagten, wurde durch immer gewagter werdende Geschichten ausgeglichen. Und so plauderten wir uns denn glücklich über Mitternacht hinaus. Als Sprechlustigster geberdete sich, in seiner Eigenschaft als Nervenkranker, natürlich unser Leutnant, und weil er im Trinken und Sprechen seiner Krankheit ganz vergaß, war ein schließlicher Rückschlag unvermeidlich. Mit einem Male schwieg er. Der Kopf fiel ihm nach vorn auf die Brust, die Unterkinnlade klappte weg, und der Inspektor und ich kriegten einen Todesschreck, bis uns Wilms beruhigte. »Die Sache habe weiter nichts auf sich; wir müßten ihn freilich sobald wie möglich ins Bett schaffen.« Ja, »ins Bett schaffen«, das war leicht gesagt. Aber wie, wie? Kargers Krankenzimmer lag im »Großen Hause«, ganz hinten im nördlichen Flügel, und der Weg dahin war eine kleine Reise. Dabei zeigte sich’s, als wir ihn aufrichteten, daß an Gehen seinerseits gar nicht zu denken war, auch wenn wir ihn von links und rechts her untergefaßt hätten. Eine ganz fatale Geschichte! Nach einiger Beratung stand uns fest, er müsse wohl oder übel hinüber getragen werden, aber um Gottes willen nicht den Hochparterrekorridor entlang, weil da die Wohnzimmer der Oberin lagen, sondern durch die darunterhin laufenden Gänge des Souterrains und dann eine Stiege hinauf, die dicht vor Kargers Zimmer einmündete.
Wir packten ihn also, so gut es ging, der Inspektor und Wilms oben an den Schultern, ich an den beiden Beinen, und so setzten wir uns in Bewegung, erst über ein Stück Hof hin und dann in die Kellerräume hinein. Alles dunkelte hier, bloß am andern Ende flimmerte was. »Nur zu«, rief ich, weil das Schweigen unheimlich war. Aber schon im nächsten Augenblick stoppten wir wieder, und der Inspektor beugte sein Ohr und horchte. Gott sei Dank, es war nichts, eine Sinnestäuschung, und so setzte sich unser Kondukt wieder in
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