Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Bewegung. Immer gradaus auf das Licht zu. Fünf Minuten später stiegen wir die letzte Stiege hinauf, und gleich danach lag Karger in seinem Bett. Wir aber schlichen uns in großen Abständen einzeln wieder zurück, weil wir instinktmäßig davon ausgingen, daß ein Angetroffenwerden zu dritt immer was Verschwörermäßiges habe.
Den andern Tag, als wir uns wie gewöhnlich bei Tische trafen, herrschte zunächst ein ängstlich bedrücktes Schweigen, keiner wollte mit der Sprache heraus. Zuletzt aber nahm ich des Inspektors Hand und sagte: »Sagen Sie, Inspektor, warum horchten Sie denn so auf?«
»Ja, es war mir so…«
»Was denn?«
»… Ja, sie kann nachts oft nicht recht schlafen. Und dann geht sie um, erst die Korridore lang und dann unten im Souterrain. Und ich dachte…«
Im Hafen
Erstes Kapitel
Mein erstes Jahr als Schriftsteller
» Im Hafen « hab’ ich diesen letzten Abschnitt betitelt. Es war aber nur ein »Nothafen« (und auch das kaum), wie gleich hier vornweg bemerkt sein mag.
Fünfviertel Jahre verblieb ich in Bethanien. Als es damit auf die Neige ging, trat ernsthafter denn je zuvor die Frage an mich heran: »Ja, was nun?« Ich war all die Zeit über in jedem Anbetracht derart verwöhnt worden, daß mir Stellungen »wieder draußen in der Welt« unmöglich behagen konnten, und zwar um so weniger, als ich das notorisch Beste davon, also Stellungen wie in Dresden und Leipzig, schon längst vorweg hatte. Was also tun? In einen elenden Durchschnittskasten mit schlechter Luft und schlechtem Bett wieder hineinzukriechen, bei Tisch ein zähes Stück Fleisch herunterzukauen und den Tag über allerlei Kompaniechirurgenwitze – die’s damals noch gab – mit anhören zu müssen, all das hatte was geradezu Schaudervolles für mich, und nach ernstlichstem Erwägen kam ich endlich zu dem Schluß: es sei das beste für mich, den ganzen Kram an den Nagel zu hängen und mich, auf jede Gefahr hin , auf die eignen zwei Beine zu stellen. Auf jede Gefahr hin! Daß eine solche da sei, darüber war mir kein Zweifel, ja, diese Gefahr stand mir so klar, so deutlich vor der Seele, daß ich mich davor gehütet haben würde, wenn irgendwie für mich ein Ende dieses immer langweiliger werdenden Umherfechtens abzusehen gewesen wäre. Das war aber nicht der Fall. Ohne jede Schwarzseherei mußt’ ich mir vielmehr das Umgekehrte sagen, und so war denn der Entschloß berechtigt: »Gib es auf; schlechter kann es nicht werden.« Nicht Leichtsinn oder Großmannssucht war für mich das Bestimmende, sondern einfach Zwang und Drang der Verhältnisse, nüchternstes Erwägen, und so nahm ich denn meine sieben Sachen und übersiedelte nach einer in der Luisenstraße gemieteten, an einer hervorragend prosaischen Stelle gelegenen Wohnung, dicht neben mir die Charité, gegenüber die Tierarzneischule. Mein Dreitreppenhochzimmer hatte natürlich jenes bekannte Seegrassofa, dessen schwarzgeblümter und außerdem stachlicher Wollstoff nur deshalb nicht mehr stach, weil schon so viele drauf gelegen hatten. Die Wirtin war ein Mustertyp der damaligen Berliner Philöse: blaß, kränklich, schmuddlig und verhungert. Über mir, auf dem Boden, war noch eine Mansardenstube, drin ganz arme Leute wohnten, die, wenn ich arbeiten wollte, gerade ihr Holz spellten, um aus einem Scheit ein Dutzend zu machen. Es waren aber gute Menschen, denn als ich ihnen sagte, »das Holzspellen führe mir immer so in den Kopf«, ließen sie’s, ein Fall, den ich, als einzig dastehend in meinen Berliner Mietserfahrungen, hier doch notieren muß. Der richtige Berliner klopft dann erst recht. »Was der sich einbildet…«
Luisenstraße, gegenüber der Tierarzneischule – da hab’ ich ein Jahr zugebracht, das erste Jahr in meiner neuen Schriftstellerlaufbahn. Und wenn ich dann bedenke, wie bang und sorgenvoll ich mich am ersten Tag in die Seegrassofaecke hineindrückte, so muß ich das in dieser elenden Chambre garnie verbrachte Jahr ein vergleichsweise glückliches nennen. Ich war sehr fleißig und schlug mich durch. Wie? weiß ich nicht mehr recht. Denn was ich einnahm, war begreiflicherweise sehr gering, weil ich davon nicht ablassen wollte, mein literarisches Leben auf den »Vers« zu stellen. Ein Entschluß, der übrigens schließlich, und zwar um vieles mehr, als ich damals vermutete, das Richtige traf. Ich sagte mir: »Wenn du jetzt ein Gedicht machst, das dir nichts einbringt, so hast du wenigstens ein Gedicht. Das Gedicht ist dein Besitz,
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