Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
prächtig componirten „Graf Douglas“) bekannt; in Berlin galt er als geistreicher Plauderer, ohne daß seine Bücher viel gelesen oder seine Theaterkritiken ernst genommen wurden. Nach 1880 stand er plötzlich an der Spitze der litterarischen Bewegung, den Alten werth, von den Jungen verehrt, ein unschätzbarer Vermittler zwischen den litterarischen Kreisen, aus denen er hervorgegangen, und denen, welche in seiner Production längst Gehofftes glücklich erfüllt sahen. Das Wunder, daß der lang Uebersehene, fast Vergessene mit Einem Male zum Haupt der Jugend ward, beruht darauf, daß seine eigene, merkwürdig langsame Entwicklung und die des Zeitgeschmackes sich gleichsam entgegenkamen.
Man hat die angeborenen Elemente Fontane’s oft mit großer Sorgfalt analysirt und daneben seine litterarische Vorgeschichte etwas vernachlässigt. Allerdings haben sicherlich die Eltern, beide der Familie der Réfugiés angehörig, dem Sohn etwas von französischem Esprit, französischer Erzählungskunst – und auch ein wenig von französischer „blague“, der Lust durch originelles Hinreden die Leute zu verblüffen, vererbt. Auch wird es wohl stimmen, daß der Vater ein liebenswürdig-leichtsinniger Mann, den der Dichter in seinen Lebenserinnerungen unübertrefflich geschildert hat, ihm etwas von dem leichten Blut der Gascogner übermittelte, während die aus Nordfrankreich stammende Mutter – übrigens eine Berlinerin von Geburt – ihm den ernsteren Pflichtbegriff mitgab. Dazu kam dann der starke Einfluß der fridericianischen Ueberlieferungen in dem Heimathstädtchen und frühe Einwirkungen der politischen und litterarischen Hauptstadt Berlin. Doch damit sind wir schon bei seiner litterarischen Vorgeschichte.
Als F. nach frischem Jugendleben in dem Seehandelsstädtchen Swinemünde 1842 nach Berlin kam, um dort den väterlichen Beruf als Apothekerlehrling zu erlernen, herrschte in der noch sehr kleinstädtischen aber litterarisch ungemein angeregten Hauptstadt eine heut ganz vergessene Schule von Novellisten und Romanerzählern. Sie gingen Alle – wie sämmtliche Erzähler jener Zeit – von Walter Scott aus und suchten in der doppelten Bemühung um historische Färbung und Wiedergabe der localen Physiognomie ihm nachzukommen. Dabei war aber der große Sinn der Romandichtung des Schotten nur dem Einen Wilibald Alexis (1798–1871) aufgegangen, der in seinen vaterländischen Romanen (seit 1832) die Biographie des preußischen Volkes zu geben versuchte. Die Andern blieben im Anekdotischen stecken. Nur der Begründer des altberlinischen Romans (wenn man nicht Nicolai dafür erklären will), der höchst talentvolle Julius v. Voß (1768–1832) hielt wenigstens einen bestimmten, wenn auch einseitig erfaßten Typus des Preußenthums fest. Voß berührt sich mit F. nicht nur gelegentlich in der Auswahl der Stoffe; auch in der Tendenz auf typische Charakteristik der socialen Schichten, in der großen Lebhaftigkeit der Anschauung und der entschiedenen Lehrhaftigkeit des Vortrags, in der Neigung zur Ironie und der Vernachlässigung der eigentlichen Composition sind sie sich verwandt, soweit auch der politische Fanatismus und die moralische Frivolität des Aelteren von der Indifferenz des Jüngeren in allen Parteifragen und seiner früh gefesteten Weltanschauung absteht. – Eine weitere Stufe steigen wir herab, wenn wir zu jenen Berliner Romandichtern kommen, die die Hauptstadt, als der junge F. dorthin kam, beherrschten. Ein Roman wie „Berliner und Spanier“ (1836) von Heinrich Smidt (1798–1867) wirkt heut geradezu wie eine Parodie auf Fontane’s Romane, so grob und verzerrt spielen Motive vor, die wir dann bei ihm in unendlicher Verfeinerung und von einer absolut neuen Kunst getragen wiederfinden: der Ehebund in der gutbürgerlichen Gesellschaft („L’Adultera“), die Entdeckung des geheimnißvollen Mordplatzes („Unter dem Birnbaum“), die unheilbare Mißheirath („Cécile“, „Graf Petöfi“ u. a.), die verheißungsvolle amusante Fahrt („Effi Briest“) und die Landpartie in den Grunewald („Frau Jenny Treibel“), das Theatergespräch („Grete Minde“, „Vor dem Sturm“), die (schon von W. Scott ererbte) Einmischung humoristisch wirkender Figuren aus dem Volk („Irrungen, Wirrungen“) u. s. w. Nur freilich nach der Lebenswahrheit und Weisheit Fontane’s darf man in diesen Producten nicht suchen, die so „romanhaft“ vorgehen und E. T. A. Hoffmann’s Praxis, berlinischen Realismus mit wilder
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