Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
ihm freilich zu der köstlichen Specialität seiner höchst individuellen Reisebriefe („Irrungen, Wirrungen“, „Poggenpuhls“) Gelegenheit gibt. Ganz streng componirt sind nur die kürzesten Bücher: die Novelle „Grete Minde“ und die Romane „Schach von Wuthenow“ und „Stine“; sonst streift F. leicht an jene fast zu ungebundene Art, die schließlich zur bloßen Anreihung von Genrebildern („Poggenpuhls“) und, freilich prächtigen, Gesprächstücken („Stechlin“) führt.
Fontane’s Romane zerfallen in zwei Gruppen: die kleinere der Criminalgeschichten („Grete Minde“, 1880; „Ellernklipp“, 1881; „Unter dem Birnbaum“, 1886; „Quitt“, 1891) und die größere und bedeutendere der modernen Romane („Graf Petöfi“, 1884; „Cécile“, 1887; „Irrungen, Wirrungen“, 1889; „Stine“, 1890; „Frau Jenny Treibel“, 1892; „Unwiederbringlich“, 1891; „Effi Briest“, 1895). Zwischen diesen stehen ein paar historische Romane („Vor dem Sturm“, 1878; „L’Adultera“, 1882; „Schach von Wuthenow“, 1883) und am Schluß hängen sich Genrebilder in Romanform an („Die Poggenpuhls“, 1896; „Der Stechlin“, 1898), doch stehen alle diese Stücke den „modernen“ Romanen erheblich näher als den Criminalgeschichten. In „L’Adultera“ berühren die sämmtlichen Elemente der Fontane’schen Romandichtungen sich am handgreiflichsten.
Die allgemeine Entwicklung bedeutet einen unzweideutigen Sieg der Theilnahme an dem modernen Menschen über das an dem „interessanten Stoff“. Sie bedeutet gleichzeitig eine fortschreitende Lösung von aller Tendenz zu weltüberlegener Objectivität.
Die beiden ersten Bücher stehen unter dem Zeichen des Wilibald Alexis. „Vor dem Sturm“ schildert die Zustände vor der Erhebung der Freiheitskriege und bildet eine Art Fortsetzung zu Alexis’ Meisterwerk „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“, verweilt dabei aber noch ausführlicher auf den litterarischen Zuständen. Hesekiel, wie Smidt ein älterer persönlicher Freund Fontane’s war ihm mit dem Thema in seinem Roman „Vor Jena“ (1859) vorangegangen und vor diesem hatte A. v. Sternberg (1844) „Jena und Leipzig“ geschrieben. Modelle aus dem „Tunnel“ sind reichlich benutzt; conventionelle Romanfiguren, wie der „edle Pole“, fehlen nicht. Daneben zeigt sich aber bereits in Einzelporträts, wie dem des Pfarrers – die immer von F. mit besonderer Virtuosität behandelt worden sind und kaum in einem größeren Romane fehlen –, eine realistische Kunst der Beobachtung in Bewegung und Redeweise, wie F. in sechzig Jahren unausgesetzten Studiums der Menschen sie sich angeeignet hatte. Die Atmosphäre ist vielleicht noch etwas zu sehr in weichen Tönen gehalten, aber doch sehr einheitlich und überzeugend durchgeführt. – „Grete Minde“ ist eine Tendenznovelle: F. will der parteiischen Verherrlichung des altbrandenburgischen Bürgerthums ein realistisches Bild dieser harten, knochigen, eigennützigen Bürger gegenüberstellen. Das hellere Licht fällt auf die von der modernen Bourgeoisie zurückgedrängten altmodischen und altgläubigen Edelfrauen – wie in den „Poggenpuhls“.
„Ellernklipp“ (1881) und „L’Adultera“ (1882) gehören wieder zusammen. In beiden wird die psychologische Vorbereitung eines Verbrechens oder Fehltritts mit ausmalender Breite geschildert; in beiden handelt es sich um Conflicte zwischen Liebe und Familienheiligkeit. In „L’Adultera“ betritt F. den Schauplatz des modernen Berlin und bereits läßt sich in der (nur noch etwas zu absichtlich individualisirten) Sprechweise der Figuren die erstaunliche Feinhörigkeit Fontane’s für den ganz persönlichen Tonfall bei jeder Persönlichkeit beobachten. Neben resolut realistischen Zügen weist das Buch aber noch mancherlei conventionelle Romanmittel auf, allzu effectvolle Capitelschlüsse, allzu deutliche Symbolik. Manches, was hier noch unfertig war, hat der Verfasser dann später in „Effi Briest“ mit reifer Kunst nochmals gezeichnet; so die Begegnung der geschiedenen Mutter mit ihrem Kind.
„Schach von Wuthenow“ (1883) bildet den Höhepunkt der ersten Periode von Fontane’s Romandichtung. Es spielt in der Zeit vor Jena und gibt also eine Art Vorgeschichte zu „Vor dem Sturm“. Eine gewisse socialpädagogische Tendenz ist auch hier noch nicht zu verkennen: wie „Grete Minde“ das Bürgerthum, warnt „Schach v. Wuthenow“ den Adel vor Selbstüberschätzung. Doch tritt
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