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Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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war so lange fort, daß ich sie suchen gegangen bin, und da habe ich mich verlaufen. Ich will nichts von Ihnen. Ich will zu der Frau.«
    Er machte plötzlich einen Satz, um zu entkommen. Als das dumpfe Klatschen seiner nackten Füße auf dem Boden schon dicht vor der Portiere ertönte, erwischte ihn Redlaw noch bei seinen Lumpen.
    »Lassen Sie mich los!« knirschte der Junge, sich windend, und fletschte die Zähne. »Ich hab Ihnen nichts getan, lassen Sie mich los. Ich will zu der Frau!«
    »Das ist nicht der rechte Weg, hier ist’s näher«, sagte Redlaw, immer noch bemüht, sich auf etwas zu besinnen, das ihm beim Anblick dieses schrecklichen Geschöpfs in die Erinnerung kommen wollte. »Wie ist dein Name?«
    »Ich habe keinen.«
    »Wo wohnst du?«
    »Wohnen? Was ist das?« Der Knabe schüttelte sich das Haar aus dem Gesicht, sah ihn einen Augenblick an, dann stellte er ihm ein Bein und wollte sich losreißen:
    »Lassen Sie mich los! Ich will zu der Frau.«
    Der Chemiker führte ihn zur Tür. »Hier entlang«, sagte er und betrachtete ihn noch immer verwirrt, aber voll Widerwillen und Abscheu. »Ich will dich zu ihr führen.«
    Die scharfen Augen des Kindes wanderten im Zimmer umher und erspähten auf dem Tisch die Überreste des Mahles.
    »Geben Sie mir etwas davon«, sagte er lüstern.
    »Hat sie dir noch nichts zu essen gegeben?«
    »Morgen bin ich doch wieder hungrig. Man ist doch jeden Tag hungrig.«
    Als er losgelassen war, sprang er auf den Tisch zu wie ein kleines Raubtier, riß Brot und Fleisch an seine zerlumpte Brust und sagte: »So. Jetzt führen Sie mich zu der Frau.«
    Voll Abscheu vor seiner Berührung winkte der Chemiker ihm schroff zu, er solle ihm folgen.
    Schon war Redlaw fast zur Tür draußen, da blieb er bebend stehen.
    »Die Gabe, die ich dir verliehen, sollst du verbreiten, wo du gehst und stehst.«
    Die Worte des Gespenstes wehten im Winde, und der Wind wehte sie ihm eiskalt entgegen.
    »Ich will heute abend nicht hingehen«, murmelte er leise, »ich will heute abend nirgendwo hingehen. Junge, geh diesen langen gewölbten Gang hinab, an der großen dunklen Tür vorbei, in den Hof! – Dort wirst du das Feuer durch das Fenster sehen!«
    »Das Feuer der Frau?« fragte der Junge. Der Chemiker nickte. Und die nackten Füße sprangen davon. Redlaw kam mit der Lampe zurück, verriegelte rasch die Tür und setzte sich in seinen Stuhl, das Gesicht mit den Händen bedeckend, wie jemand, der sich vor sich selbst fürchtet.
    Denn jetzt war er wirklich allein. Allein, allein!

Zweites Kapitel
    Die Verbreitung
     
    Ein kleiner Mann saß in einer kleinen Stube, die von einem kleinen Laden durch eine kleine spanische Wand abgeteilt war.
    Die kleine spanische Wand war über und über mit kleinen Ausschnitten aus Zeitungen beklebt. In Gesellschaft des kleinen Mannes befand sich eine Menge kleiner Kinder. Unendlich viele waren es. Wenigstens wirkte auf diesem engen Schauplatz, was ihre Zahl betrifft, ihre Schar geradezu überwältigend. Von dieser kleinen Sippschaft waren zwei vermutlich mittels irgendeiner starken Maschinerie in ein Bett in einem Winkel gebracht worden, wo sie ruhig den Schlummer der Unschuld hätten schlafen können, wenn sie nicht von der Neigung besessen gewesen wären, wach zu bleiben und aus einem Bett heraus ins andere Bett wieder hineinzukrabbeln. Der unmittelbare Anlaß zu diesen Überfällen auf die wachende Welt war eine Mauer aus Austernschalen, die zwei andere Jünglinge zarten Alters in einer Ecke errichteten. Gegen diese Befestigung machten die beiden im Bett grimmige Ausfälle (gleich den verwünschten Pikten und Skoten, die die ersten Geschichtsstudien der meisten jungen Engländer verdüstern). Dann zogen sie sich wieder auf eigenes Gebiet zurück.
    Außer dem Lärm, der diesen Angriffen und der haßerfüllten Verteidigung der Bedrohten folgte – denn diese setzten ihren Feinden heiß nach und führten Stöße gegen die Bettücher, unter die sich die Marodeure flüchteten –, spendete noch ein anderer kleiner Junge in einem andern kleinen Bett sein Scherflein Spektakel zu dem allgemeinen Familienvorrat, indem er seine Stiefel und andere an und für sich harmlose kleine Gegenstände, wenn sie nur derb und hart waren und sich zu Wurfgeschossen eigneten, nach den Störern seiner Ruhe schleuderte, die natürlich ihrerseits nicht faul waren, solche Liebenswürdigkeiten prompt zu erwidern.
    Außerdem wankte noch ein anderer kleiner Junge, der Größte hier, aber immer noch

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