1848 - Wir jagten die rote Hexe
Jane Collins hätte sich die Mühe des Wartens ersparen können, aber das tat sie nicht. Es gab für sie schon einen triftigen Grund, und der hatte sogar einen Namen. Er hieß Larissa. Sie befand sich zwar nicht auf dem Schiff, aber Jane ging davon aus, dass sie unter Umständen auf den Segler wartete, denn auf dem befanden sich ihre Verbündeten. Dass die vernichtet worden waren, konnte sie nicht wissen, und so hoffte die Detektivin, dass sie ihr in die Falle laufen würde.
Es hatte Jane einiges an Fragerei gekostet, bis sie erfahren hatte, wo der Segler genau anlegen würde. Die Reede befand sich nicht mitten in London, sondern etwas in östlicher Richtung, wo es auch noch alte Docks und Anlaufplätze gab.
Sie hatte einen Tipp erhalten. Dem war sie nachgegangen. Jetzt hielt sie sich am Fluss auf, weit im Osten. Der kleine Ort hieß Erith. Die Anlegestellen befanden sich außerhalb der Stadt. Sie waren schon länger nicht mehr benutzt worden oder nur in Ausnahmefällen – wie jetzt bei dem Segler aus Oslo.
Am Südufer der Themse gab es noch einige Fabrikhallen, von denen die meisten leer standen, nur in einigen wurde noch gearbeitet. Was man dort herstellte, wusste Jane nicht. Es reichte ihr, wenn sie hin und wieder Lärm hörte.
Warten, das war es.
Zwischendurch hatte sie mit John Sinclair telefoniert, der sich auf dem Schiff befand. Eine genaue Zeit konnte er nicht sagen. Das Wetter auf See war zu wechselhaft. Mal kamen sie gut voran, dann wieder gerieten sie in eine Flaute.
Man konnte sich das Warten auch einigermaßen gestalten. Das hatte Jane Collins getan. Sie hockte nicht auf der Uferböschung im herbstlichen Gras, sondern hatte ein Lokal gefunden, das auf dem Deich stand und zu dem eine Terrasse gehörte.
Da waren die Tische und Stühle noch nicht weggeschafft worden. Jane konnte sich einen Platz aussuchen, was sie auch tat. Sie hatte sich so gesetzt, dass sie auf das Wasser schaute, und es gab sogar noch etwas zu trinken. Die Besitzerin war da, und sie hatte der Detektivin einen Kaffee mit einem Schuss Brandy serviert.
»Auf wen warten Sie denn? Oder warten Sie überhaupt?«
»Nein, nein, ich warte. Da haben Sie schon recht.«
»Auf wen denn?«
»Auf ein Schiff.«
»Toll.«
»Warum?«
Die Frau lachte. »Es gibt nicht mehr viele Menschen, die hierher kommen und auf ein Schiff warten.«
»Das kann ich mir denken. Ich warte auf einen alten Segler, der hier bald anlegen soll.«
»Aha.« Es hörte sich an wie ein Staunen.
»Ist das so selten?«, fragte Jane.
»Ja, wir sind hier zwar in London, aber die großen Schiffe fahren doch durch bis zu den Häfen und den Docks. Wir sind eine vergessene Gegend. Das war früher mal anders. Da war hier noch was los. Und ich habe mich lange dagegen gewehrt, aber jetzt ist es vorbei.«
»Was denn?«
»Ich werde den Laden hier zumachen. Es lohnt sich nicht mehr. Ich suche jetzt auch einen Käufer. Möglicherweise kann hier ein neues Konzept greifen, aber dafür bin ich zu alt. Nun ja, ich habe das Erbe meiner Eltern lange genug verwaltet. Und die Kinder haben keinen Bock darauf.«
»Wie so oft bei Firmen.«
»Ja, darüber habe ich auch gelesen.«
Schiffe kamen genug. Sie fuhren sowohl nach Osten als auch nach Westen. Aber es befand sich kein Segler darunter. Es gab nur die normalen Motorschiffe. Aber auch die Container-Riesen, die durch das Wasser pflügten und starke Wellen bis an die beiden Ufer spülten.
Jane saß auch jetzt noch im Freien. Sie wartete, bis die ältere Frau verschwunden war, und versuchte, John Sinclair zu erreichen. Beim letzten Mal hatte das nicht geklappt.
Diesmal war die Verbindung besser.
»He, Geisterjäger, habt ihr es bald geschafft?«
»Sicher.«
»Und wo seid ihr?«
»Wir fahren bereits in die Mündung ein.«
»Das ist nicht schlecht.«
»Wartest du noch immer in Erith?«
»Genau dort.«
»Okay, wir sehen uns dann. Der Wind ist ganz günstig. Wir kommen gut voran.«
»Und was ist mit den vernichteten Ghouls?«
»Die liegen hier an Bord. Aber sie sind alle kristallisiert, wie du dir denken kannst.«
»Klar, das ist natürlich.«
»Wir haben nur einen Toten zu beklagen. Es ist der Steuermann. Ansonsten können wir zufrieden sein, denn es besteht keinerlei Gefahr mehr.«
»Gut. Und wann sehe ich euch?«
»In knapp zwei Stunden.«
»Okay, ich warte.«
Die Verbindung war unterbrochen. Es herrschte das große Aufatmen bei der Detektivin. Sie hätte nicht gedacht, dass alles so normal ablaufen würde.
Jane
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