Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
nicht loszuwerden; es stand vor uns Tag und Nacht. Der Mann, von dem Walter Scott in seiner Dämonologie spricht, litt nicht halb soviel von der Phantasiegestalt in schwarzem Samt wie wir von dem Bilde unseres Schäbig-Vornehmen im vormals schwarz gewesenen Rocke. Er erregte zuerst unsere Aufmerksamkeit, als er uns eines Tags und dann öfter im Lesezimmer des Britischen Museums gegenübersaß. Was ihn uns noch bemerklicher machte, war, daß er immer ein paar schäbig-elegante Bücher vor sich hatte – zwei alte eselsohrige Folianten in verschimmelten, wurmstichigen Bänden, die einmal prachtvoll gewesen waren. Er saß jeden Morgen, gerade wenn es zehn schlug, an seiner Stelle, war jeden Nachmittag der letzte im Zimmer, und verließ es mit einer Miene und einem Wesen, worin man deutlich las, daß er nicht wußte, wohin er gehen sollte, um Feuerung und eine Ruhestätte zu finden. Er saß den ganzen Tag da und so dicht wie möglich am Tische, um die fehlenden Knöpfe an seinem Rocke zu verstecken; und seinen abgetragenen Hut legte er immer sorgfältig neben seine Füße, wo er, wie er sich offenbar schmeichelte, der Beobachtung entging. Etwa um zwei Uhr seht ihr ihn eine Semmel verspeisen, die er nicht etwa dreist und vor aller Augen aus der Tasche hervorzieht, gleich einem Manne, der es weiß, daß er nur einen Lunch einnimmt, sondern von der er kleine Stücke in der Tasche abbricht und verstohlen zum Munde führt. Er ist sich nur gar zu wohl bewußt, daß sein ganzes Mittagessen darin besteht.
Als wir den Armen zum ersten Male sahen, hielten wir es für rein unmöglich, daß sein Anzug noch schlechter werden könnte, wir dachten sogar an die Möglichkeit, daß er binnen kurzem in anständigen Kleidern aus einem reputierlichen Trödlerladen erscheinen könnte. Wir hatten uns indes gar sehr geirrt. Er wurde mit jedem Tage noch elegant-schäbiger. Die Knöpfe verschwanden einer nach dem andern von seiner Weste, und er fing an, den Rock zuzuknöpfen, und als sich die Knöpfe von der einen Seite gleichfalls verloren, knöpfte er ihn über die andere Seite zu. Zu Anfang der Woche sah er etwas besser aus als am Ende, weil sein Halstuch dann, wenn auch gelb, doch minder erdfarben war, und nie zeigte er sich bei aller seiner Misere ohne Handschuhe und Sprungriemen an den Beinkleidern. In diesem Zustand verblieb er einige Wochen; endlich verschwand einer seiner Rückenknöpfe und dann er selbst, und wir glaubten, daß er tot sei.
Wir saßen etwa acht Tage nach seinem Verschwinden an unserm gewöhnlichen Tisch, hefteten die Blicke auf seinen leeren Stuhl und verfielen fast unbewußt in ein Nachsinnen über die Gründe, weshalb er sich aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen haben möchte. Hatte er sich erhängt oder ins Wasser gestürzt, war er wirklich tot oder im Schuldgefängnis? Wir sannen hin und her – als er unversehens leibhaftig wieder vor uns stand. Es war eine merkwürdige Verwandlung mit ihm vorgegangen. Er ging mit einer Miene durch das Zimmer, die deutlich verkündigte, daß er sich seines besseren Aussehens vollkommen bewußt war. Es war äußerst sonderbar! Seine Kleider waren dunkel und glänzend schwarz und sahen doch wie dieselben aus – ja sogar die Flicken fehlten nicht, mit denen uns lange Bekanntschaft vertraut gemacht hatte. Auch der Hut – wer hätte ihn mit seiner hohen, etwas spitz zulaufenden Krone verkennen mögen? Er hatte infolge langer Dienste in ein Rotbraun gespielt, war aber jetzt ebenso schwarz wie der Rock.
Plötzlich ging ums ein Licht auf – er hatte alles färben lassen. Die schwarze und blaue Farbe ist aber gar trügerisch; wir haben es an manchem schäbig-eleganten Manne ersehen. Sie verführt die Opfer ihres Betrugs, eine vorübergehende Wichtigkeit anzunehmen, vielleicht ein Paar neue Handschuhe, eine wohlfeile Halsbinde oder andere Toilettenkleinigkeiten zu kaufen; erhebt ihren Mut auf eine Woche, lediglich um ihn nur zu bald, womöglich noch tiefer, wieder niederzudrücken. Es war so im vorliegenden Falle. Die vorübergehende Würde des unglücklichen Mannes nahm in demselben Verhältnis ab, wie die Farbe ausging. Die Knie der Unaussprechlichen, die Ellenbogen des Rockes und die Nähte insgemein wurden bald zum Erschrecken weiß. Der Hut wurde wieder unter den Tisch gelegt, und sein Eigentümer drückte sich so still auf seinen Stuhl wie je. – Eine Woche lang fiel ein unaufhörlicher Sprühregen und Nebel. Als sie zu Ende ging, war die Farbe gänzlich verschwunden, und
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