Dem Sieger eine Handvoll Erde
Tür die Fingerknöchel wund schlug, schloß und verriegelte Harlow das Fenster. MacAlpines wütende Stimme war sehr laut und klar zu verstehen.
»Machen Sie auf, Johnny! Machen Sie auf, oder ich breche die verdammte Tür ein.«
Harlow schob die beiden Kameras unter sein Bett, schlüpfte aus seiner schwarzen Lederjacke und dem schwarzen Rollkragenpullover und schob auch sie unter das Bett. Dann nahm er einen Mundvoll Whisky, schüttete sich ein paar Tropfen in die Handflächen und rieb sich damit das Gesicht ein.
Die Tür sprang auf, und MacAlpines ausgestrecktes rechtes Bein wurde sichtbar. Offensichtlich hatte er mit dem rechten Fuß gegen das Schloß getreten. MacAlpine und Dunnet betraten das Zimmer und blieben wie angewurzelt stehen. Harlow lag, in Oberhemd, Hosen und Schuhen, ausgestreckt auf dem Bett und befand sich offenbar in einem komaähnlichen Zustand. Sein rechter Arm hing über den Bettrand herunter, und die Finger der rechten Hand umklammerten den Hals einer Whiskyflasche. MacAlpine trat mit grimmig-fassungslosem Gesicht an Harlows Bett, beugte sich über ihn, sog angeekelt die Luft ein und nahm die Whiskyflasche aus der schlaffen Hand. Er drehte sich zu Dunnet um, der seinen ausdruckslosen Blick erwiderte.
»Der größte Rennfahrer der Welt«, sagte MacAlpine.
»Bitte, James. Du hast es doch selbst gesagt: Irgendwann erwischt es jeden. Erinnerst du dich? Früher oder später erwischt es jeden.«
»Aber Johnny Harlow?«
»Sogar Johnny Harlow.«
MacAlpine nickte. Die beiden Männer verließen das Zimmer und zogen die lädierte Tür hinter sich zu. Harlow öffnete die Augen und rieb sich nachdenklich das Kinn. Dann roch er an seinen Handflächen und rümpfte angeekelt die Nase.
III
In den turbulenten Wochen nach dem Rennen von Clermont-Ferrand war an Johnny Harlow keine Veränderung festzustellen. Er war immer ein Einzelgänger gewesen, aber jetzt war er einsamer als je zuvor. Auf dem Gipfel seiner Karriere war er von einer geradezu abnormen Gelassenheit gewesen und hatte sich eisern unter Kontrolle gehabt. Und so schien es auch jetzt noch zu sein. Er war ebenso unnahbar wie eh und je, seine bemerkenswerten Augen – bemerkenswert wegen ihrer enormen Sehschärfe, nicht wegen ihres Aussehens – waren so klar und ruhig wie immer, und sein Adlergesicht zeigte keine Regung.
Seine Hände zitterten nicht mehr. Es waren Hände, die darauf hindeuteten, daß ihr Besitzer mit sich selbst in Frieden lebte. Vermutlich trog dieser Anschein, und Johnny Harlow konnte nie mehr Frieden finden. Wollte man allerdings behaupten, daß Johnny Harlow seit dem Tag, an dem er Jethou getötet und Mary zum Krüppel gemacht hatte, das Glück allmählich verließ, so wäre das eine völlig falsche Darstellung gewesen. Das Glück hatte ihn nicht allmählich verlassen, es hatte auf dem Absatz kehrtgemacht. Und diese Erkenntnis mußte für ihn – und ganz sicher auch für seine zahlreichen Freunde, Bekannten und Bewunderer – von erschütternder Endgültigkeit gewesen sein.
Zwei Wochen nach Jethous Tod – und dies vor seinen eigenen britischen Landsleuten, die in Scharen gekommen waren, um ihm die schrecklichen Beleidigungen und Anklagen durch die französische Presse zu verzeihen und ihrem Idol zuzujubeln – geschah es: Johnny Harlow kam bereits in der ersten Runde von der Bahn ab. Er blieb unverletzt, ebenso die Zuschauer, aber sein Coronado war ein Wrack. Da beide Vorderreifen geplatzt waren, wurde angenommen, daß zumindest einer davon bereits geplatzt gewesen sein mußte, bevor der Wagen von der Bahn abgekommen war. Man war sich einig, daß es für diese Panne keine andere Erklärung geben konnte. Aber nicht alle schlossen sich dieser Meinung an. Jacobson hatte sich privat dahingehend geäußert, daß die akzeptierte Erklärung ein kaum noch vertretbares Wohlwollen voraussetzte. ›Fehler des Fahrers‹ wurde einer der Lieblingssätze Jacobsons.
Zwei Wochen später, beim deutschen Grand-Prix-Rennen, das wahrscheinlich das schwierigste in ganz Europa ist – was Harlow jedoch nicht davon abgehalten hatte, früher auch hier souverän zu siegen –, hing die düstere, mutlose Stimmung wie eine Gewitterwolke über der Coronado-Box. Sie war so greifbar, daß man den Eindruck hatte, man müsse sie nur packen und beiseiteschieben, aber sie ließ sich nicht bewegen. Das Rennen war vorüber, die letzten Wagen fuhren gerade ihre letzte Runde.
MacAlpine, der ebenso verbittert wie mutlos aussah, warf einen Blick zu
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