Den du nicht siehst
muffig und roch nach Schimmel.
Emma legte sich wieder hin und hoffte, dass der Schmerz nachließ. Sie brauchte einen klaren Kopf.
Plötzlich hörte sie ein Scheppern. Die Dachluke wurde gehoben. Zwei Füße kamen zum Vorschein, und ein Mann stieg in den Bunker herab. Es war Jens Hagman.
Er starrte sie mit kaltem Blick an und hielt ihr eine Wasserflasche an den Mund. Mit seiner Hilfe trank sie gierig. Nachdem sie ihren Durst gelöscht hatte, blieb sie schweigend liegen. Sie wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte, beschloss aber, abzuwarten. Zu sehen, was er als Nächstes unternehmen würde.
Er setzte sich ihr gegenüber auf die andere Pritsche. Sie wagte nicht, ihn anzublicken. Konnte seinen Atem hören. Am Ende brach sie das Schweigen.
»Was hast du vor?«
»Halt die Fresse. Du hast kein Recht, überhaupt etwas zu sagen.«
Er ließ sich an die Wand zurücksinken und schloss die Augen.
»Ich muss mal«, flüsterte sie.
»Darauf scheiß ich ja wohl.«
»Bitte. Sonst pinkel ich mich voll.«
Widerwillig stand er auf und lockerte ihre Fesseln. Sie musste sich vor seinen Augen hinhocken. Als sie fertig war, zog er die Fesseln wieder fest zu. Er starrte sie wütend an, kletterte nach oben und verschwand.
Die Stunden verstrichen. Sie lag seitlich auf der Pritsche und glitt zwischen Schlafen und Wachen hin und her. Träume wechselten mit Gedanken. Sie konnte es nicht mehr unterscheiden. Zeitweilig senkte sich eine bleierne Decke aus Apathie über sie. Sie war ihm wehrlos ausgeliefert. Sie konnte auch gleich hier und jetzt sterben. Ihr Dasein in einem Bunker auf Fårö beenden. Aber dann leuchteten Bilder ihrer Kinder vor ihr auf. Sara und Filip. Sie hatte sie bei Olles Bruder in Burgsvik zuletzt gesehen. Die Kinder hatten ihr vom Gartentor aus zugewinkt, als sie losfuhr. Sollten sie sich dort wirklich zum letzten Mal gesehen haben?
Ihre Gelenke schmerzten, und ihre Hände brannten. Bald würden sie jegliches Gefühl verlieren. Sie hielt sie in den schmalen Lichtstrahl. Die Fesseln hatten ihre Handgelenke wund gescheuert. Emma versuchte sich zu konzentrieren. Sie setzte sich wieder auf. Welche Möglichkeiten hatte sie? Sie hatte keine Chance, den Mann zu überwältigen. Selbst wenn sie ihn erneut dazu brachte, ihre Fesseln zu lösen – sie hatte nichts, was sie als Waffe verwenden könnte. Sie fragte sich, wo der Bunker wohl liegen mochte. Sicher weit entfernt vom nächsten Haus. Aber im Sommer waren doch immer Menschen in der Nähe, gingen im Wald und auf den Wiesen spazieren. Sie schaute zu dem kleinen Lichtschacht hoch. Sollte sie es wagen zu schreien? Vielleicht hielt Hagman sich in unmittelbarer Nähe auf. Sie nahm an, dass er in seinem Auto saß. Aber selbst wenn er sie hörte, was hatte sie schon zu verlieren? Sie lebte vermutlich nur noch, weil er sie brauchte, um von hier wegzukommen. Weil die Polizei dort draußen nach ihr suchte. Deshalb würde er sie jetzt noch nicht umbringen.
Ihre Beine waren nicht so stramm gefesselt wie vor dem Pinkeln. Es fiel ihr schwer, sich zu bewegen, aber es war möglich. Sie konnte die gegenüberliegende Wand erreichen. Sie reckte sich so weit dem Lichtschacht entgegen, wie sie nur konnte, dann schrie sie mit aller Kraft um Hilfe. Immer wieder, bis ihre Stimme versagte. Sie setzte sich auf die Pritsche und wartete. Ihre Blicke klebten am Schacht. Die Minuten vergingen. Kein Zeichen von Hagman oder von irgendeinem anderen Menschen. Sie schrie erneut, bis sie nicht mehr konnte.
Dann rollte sie sich auf der Pritsche zusammen. Sie würde versuchen, mit ihm zu reden. Ihn um Verzeihung bitten. Ihn davon überzeugen, dass sie ihr Verhalten bereute.
Ja. das würde sie tun.
Dienstag, 26. Juni
Anders Knutas saß erschöpft in der Baracke auf dem Campingplatz Sudersand, die der Polizei als Basis diente. Er hatte sich einen Kaffee und ein Käsebrot geholt.
Es war halb sieben Uhr morgens, und Emma Winarve war noch immer verschwunden. Die Polizei hatte Jan Hagman in seinem Haus festgenommen und in eine Arrestzelle gebracht. Ob der Vater etwas mit den Morden zu tun hatte, war unklar, aber sie wollten kein Risiko eingehen.
Die Unsicherheit machte Knutas zu schaffen. Lebte Emma noch? Jens Hagman müsste sich noch auf Fårö aufhalten. Die Fährverbindung war direkt nach Knutas’ Anweisung eingestellt worden, die Straßensperren auf der Hauptstraße zum Fähranleger kontrollierten jedes Fahrzeug. Hagman konnte die Insel also nicht verlassen haben, es sei denn, er
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