Den Oridongo hinauf (German Edition)
1
Um diese Tageszeit , wenn der Nachmittag zum Abend wird, kann ich die Schiffe der Hurtigrute draußen in der Dunkelheit zwischen Skarven und der Insel vorübergleiten hören. Und ich liege hier in meiner eigenen Dunkelheit, den Kopf unter der Decke und die Augen geschlossen. Hier liege ich und döse vor mich hin und lausche den gewaltigen Schiffsmotoren und dem Wind. Der singt im Draht, der das Haus festhalten soll, wenn wieder ein Orkan wütet. Ein seltsames Stück Musik. Es ist nicht schön, aber es ist stark und beruhigend. Wenn ich die Hand unter der Wärme der Decke hervorstrecke und die kalte Wandtäfelung berühre, spüre ich, wie das Haus leise vibriert. Es scheint unter meinen Fingerspitzen zu leben. Es tut mir gut zu denken, dass das Haus lebt, da soll dieser Einfall so banal und dumm sein, wie er nur will, denn ich habe nicht vor, andere mit solchen Gedanken zu belästigen.
Und ich sehe das Schiff vor mir, wie es jetzt durch den Sund nach Norden weiterfährt, wie es in der Herbstdunkelheit leuchtet, wie die Gesichter sich hinter den Fenstern von Restaurant und Kabinen dem Land zuwenden, jemand schaut in den schwarzen Nachmittag hinaus, und vielleicht erfassen einzelne dieser Augen den Umriss unseres Hauses hier im Inneren der Bucht, vielleicht sogar den Umriss von ihr, die unten im halbdunklen Wohnzimmer steht, die eine Hand auf die Fensterbank gestützt, so steht sie nämlich jeden Tag da, wenn die Hurtigrute auf dem Weg nach Norden vorüberkommt, so steht sie in dem halbdunklen Wohnzimmer und stützt sich mit einer Hand auf die Fensterbank, eine magere Hand zwischen Topfblumen und Kerzen. Das weiß ich, das kann ich klar vor mir sehen, denn oft stehe ich mit ihr zusammen dort, stehe hinter ihr, eine Hand auf ihrer Schulter, oder vielleicht sogar eine Hand auf ihrer Hüfte, so stehen wir da und sehen die vielen Lichter der Hurtigrute langsam in Richtung Ozean verschwinden, ehe sie hinter Nabben dann plötzlich erlöschen.
Ich liege da und schlafe ein und wache auf, stelle die Wirklichkeit auf den Kopf, während Traumbilder sich mit meinen Gedanken verflechten, und wenn das Geräusch der Schiffsmotoren sich in der Ferne verliert, wird das schmale Bett, in dem ich liege, zu einem anderen Bett an einem anderen Ort, zu einer Pritsche, und das Zimmer wird zu einer Kajüte umgeträumt, ehe das Geräusch der Motoren wieder durch meine Gehörgänge pocht, ich fahre den Oridongo hinauf, den düsteren Strom hinauf, und es ist so heiß und feucht und hämmernd einsam, so erfüllt von Krankheit und Sehnsucht, und wenn die Motoren ausgeschaltet werden, kann ich daliegen, die Hände vors Gesicht geschlagen oder zwischen die Oberschenkel geschoben, und dem Geplapper der Vögel des Dschungels lauschen, oder Lachen und Weinen aus den anderen Kajüten und von Deck, laufenden Füßen, dem Klang von Trommeln, weit, weit weg, ich kann einfach ganz still daliegen, und Sekunden, Minuten und Stunden zerbrechen.
Auf diese Weise bekomme ich eine gute Beziehung zur Zeit.
Zur geträumten und zu der, die in der Welt der Wachen herrscht.
Später gehe ich in die Küche hinunter und setze Kaffeewasser auf. Schneide zwei Stücke vom Kringel ab und bringe sie auf einer Untertasse ins Wohnzimmer.
Berit sitzt im Schaukelstuhl, das Kinn auf der Brust. Ihr Tuch ist heruntergeglitten, es liegt zerknüllt auf dem Boden. Sie behauptet, niemals Mittagsschlaf zu halten, aber hier haben wir sie in ihrer ganzen bewusstlosen Pracht! Wenn ich mich nur erinnern könnte, wo ich die IXUS hingelegt habe, dann würde sie es selbst sehen. Aber es ist ja auch so, dass sie durchaus auf die Idee gekommen sein könnte, das Zeitliche zu segnen. Statt also nach dem Fotoapparat zu suchen, stelle ich die Untertasse auf den Tisch neben der Seekiste und beuge mich über sie. Die Halsschlagader pocht … ich hebe das Tuch vom Boden auf und lege es vorsichtig um ihre Schultern.
Und dann wacht sie auf, natürlich.
Im Licht der vielen Kerzen sehe ich, wie sie das rechte Auge öffnet, dann das linke, während sie mich zugleich anlächelt, und ich kann es nicht erklären, ich weiß nicht, warum, aber ich verbinde diesen Blick und dieses Lächeln immer mit etwas »Schwedischem«, ihr ganzes Gesicht hat gleichsam etwas Schwedisches, wenn sie so dasitzt und listig und ein wenig geheimnisvoll aussieht. Die grauen, lebhaften Augen. Das schmale Gesicht. Die geschwungenen Lippen.
Und natürlich hat sie nicht geschlafen. Sie schläft nachts, kann sie mitteilen. Nicht
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